Netflix – Hollywood-Streiks, na und?
Während Hollywood unter dem ersten gleichzeitigen Streik von Drehbuch-Autoren und Schauspielern seit 1960 ächzt, treibt der Streamingdienst-Pionier Netflix seine Umstrukturierung hin zu höherer Profitabilität konsequent voran. Vor allem der Gewinn entwickelt sich stärker als gedacht.
Netflix und die Transparenz
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Netflix eines der Hauptziele der Streikenden darstellt, gleichzeitig aber wohl am besten mit den Auswirkungen eines möglichen langen Streiks umgehen könnte. Zu den Hauptforderungen der Filmgewerkschaften zählt eine stärkere Beteiligung der Film- und Serienschaffenden vor und hinter der Kamera am Erfolg.
Das führt traditionell schon mit den klassischen Filmstudios und ihrer berüchtigten „kreativen Buchhaltung“ immer wieder für Ärger, doch die Streamingdienste präsentieren sich bislang noch weit weniger transparent.
Keine konkreten Abrufzahlen
Gerade bei Netflix ist die Weigerung, konkrete Abrufzahlen zu benennen, trotz einer leichten Verbesserung in den letzten Jahren geradezu legendär – und solange nur ein paar Netflix-Manager wissen, wie gut oder schlecht genau die Filme und Serien bei den Kunden ankommen, lassen sich schwerlich gerechte Tantiemen aushandeln.
Dazu kommt die neue Thematik der Künstlichen Intelligenz (KI), die besonders die Autoren umtreibt und sie einen mittel- bis langfristigen Verlust ihrer Jobs befürchten lässt. Wenn man weiß, dass zu den größten Kritikpunkten an Netflix seit Jahren die offenkundige Formelhaftigkeit vieler Eigenproduktionen zählt, ist diese Sorge nachvollziehbar – denn diese Formeln könnte eine KI mutmaßlich noch zielgenauer umsetzen als menschliche Autoren …
Netflix als Streik-Profiteur?
Der Konflikt wird dadurch nicht erleichtert, dass Netflix nach Ansicht vieler Analysten besser mit einem längeren Streik umgehen könnte als die meisten Konkurrenten. Das liegt in erster Linie an der breiten regionalen Diversifizierung von Netflix, das als einziger US-Streamingdienst regelmäßig nicht-englischsprachige Welthits wie das südkoreanische „Squid Game“, das französische „Lupin“ oder das spanische „Haus des Geldes“ feiert und auf diese Weise bereits glänzend durch die Corona-Pandemie kam.
Zwar betont Netflix-Chef Ted Sarandos seine Verhandlungsbereitschaft, dennoch ist klar: Netflix kann hier relativ problemlos auf Zeit spielen. Das bestätigen auch die Quartalszahlen, die zwar nicht alle Erwartungen erfüllen, insgesamt aber gut ausgefallen sind.
Umsatz enttäuscht auf hohem Niveau
Im am 30. Juni 2023 abgeschlossenen zweiten Quartal (Q2) des Geschäftsjahres 2023 hat Neflix seinen Umsatz zum Vorjahr um 2,7 Prozent auf 8,19 Milliarden US-Dollar gesteigert. Damit wurden die Erwartungen der Analysten in Höhe von durchschnittlich etwa 8,3 Milliarden Dollar knapp verfehlt. Dafür wirken sich die Maßnahmen gegen das Account-Sharing positiv auf die Abonnentenzahl aus, die in Q2 mit 238,4 Millionen um 5,9 Millionen höher lag als ein Jahr zuvor.
Die Anzahl der zahlenden Kunden konnte Netflix in allen Regionen gegenüber Q1 in einem ähnlichen Ausmaß erhöhen: In den USA und in Kanada um 1,6 Prozent auf 75,57 Millionen, in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika um 3,1 Prozent auf 79,81 Millionen, in Lateinamerika um 3,0 Prozent auf 42,47 Millionen und im Raum Asien-Pazifik um 2,7 Prozent auf 40,55 Millionen.
Gewinn überrascht positiv
Während der Umsatz leicht unter den Erwartungen der Analysten blieb, wurden diese bei den Gewinnzahlen vor allem wegen des Vorgehens gegen das Account-Sharing sowie der zunehmenden Akzeptanz der noch jungen werbeunterstützten Tarifstufe klar übertroffen.
So verbesserte sich der operative Gewinn gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 15,8 Prozent auf 1,83 Milliarden Dollar, die entsprechende Marge erhöhte sich von 19,8 auf 22,3 Prozent (Netflix selbst hatte lediglich 19 Prozent angepeilt). Das Nettoeinkommen lag mit 1,49 Milliarden Dollar um 3,3 Prozent über dem Vorjahreswert und der verwässerte Gewinn je Aktie erreichte 3,29 Dollar.
Dieser Wert liegt zwar nur leicht über den 3,20 Dollar des Vorjahresquartals, aber erheblich über den 2,88 Dollar aus Q1 sowie den Experten-Erwartungen, die im Schnitt mit einer Stagnation zum Vorquartal rechneten. Bemerkenswert ist zudem der Free Cash Flow, der mit 1,34 Milliarden Dollar beinahe das Dreifache der von den Analysten erwarteten knapp 550 Millionen Dollar erreichte.
Vorsichtiger Ausblick, Gewinnmitnahmen bei Aktie
Für das laufende dritte Quartal erwartet das Management von Netflix ein Umsatzwachstum von 7,5 Prozent bei einer nahezu unveränderten operativen Marge von 22,2 Prozent. Der verwässerte Gewinn je Aktie soll auf 3,52 Dollar steigen, zudem sollen die Abonnentenzahl erneut um etwa 6 Millionen erhöht werden. Für das gesamte Geschäftsjahr 2023 visiert das Management weiterhin eine operative Marge zwischen 18 und 20 Prozent an, hingegen soll der Free Cash Flow vor allem wegen streikbedingter Produktionsverzögerungen nun bei 5 Milliarden Dollar anstatt der bisher angepeilten mindestens 3,5 Milliarden Dollar liegen.
Passend zur Vorlage der Quartalsbilanz wurde zudem die Streichung des Basistarifs in den USA und in Großbritannien verkündet. Im Rest der Welt wird die Basisstufe – die in Deutschland von Anfang an 7,99 Euro im Monat kostete – höchstwahrscheinlich ebenfalls in absehbarer Zeit Geschichte sein. Die Netflix-Aktie ist zuletzt sehr stark gelaufen mit einem Kursplus von über 60 Prozent seit Jahresanfang. Im Zusammenspiel mit dem leicht enttäuschenden Quartalsumsatz und dem eher verhaltenen Ausblick sorgt das für deutliche Gewinnmitnahmen. Im deutschen Mittagshandel liegt die Netflix-Aktie bei etwa 398 Euro gut 6 Prozent im Minus.