Warum Sie Siemens Energy nicht mehr unterschätzen sollten

Warum Sie Siemens Energy nicht mehr unterschätzen sollten
Rafael Henrique / stock.adobe.com
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Totgesagte leben bekanntlich länger. Zugegeben: Dieser Spruch ist etwas abgedroschen, trotzdem trifft er an der Börse immer wieder den Nagel auf den Kopf. Beispiel: Siemens Energy.

Wie Sie bestimmt wissen, geriet die Siemens-Abspaltung in den letzten Jahren wegen der tiefgreifenden Krise bei der Windkrafttochter Gamesa schwer in die Bredouille. 2023 etwa hatte Siemens Energy nicht nur einen Milliardenverlust hinnehmen, sondern auch einräumen müssen, dass die technischen Probleme bei Gamesa wesentlich schwerwiegender sind als ursprünglich gedacht.

Im Prinzip sind es 4 Faktoren, die Gamesa ins Straucheln gebracht haben:

  1. Technische Probleme und Qualitätsmängel bei einigen Windturbinenmodellen verzögern Projekte.
  2. Kostensteigerungen bei Rohstoffen und Logistik schmälern Margen.
  3. Starker Wettbewerb übt Druck auf Margen und Preise aus.
  4. Ausufernde Verwaltung bremst betriebliche Effizienz aus.

Siemens Energy jedenfalls will der Lösung dieser Probleme weiterhin die höchste Priorität einräumen. Das gab das Energietechnikunternehmen vor wenigen Tagen im Rahmen der neusten Zahlenpräsentation bekannt. Kurzum: Gamesa soll demnach bereits bis 2026 den Break-Even erreichen – also profitabel werden. Angesichts der Milliardenverluste, die die Tochter in den letzten Jahren verursacht hatte, ist das durchaus ein ambitioniertes Ziel.

Siemens Energy: Wie Gamesa wieder auf die Spur finden soll

Um dieses Realität werden zu lassen, soll das bereits gestartete Sanierungsprogramm fortgeführt werden. Im Mittelpunkt der Initiative steht eine Zusammenführung von Verwaltungsprozessen. Heißt: Bereiche wie Rechnungswesen, Controlling und Steuern wurden bereits gebündelt, um die Abläufe insgesamt effizienter und schneller zu machen.

Zum 1. Juni sollen dann auch andere wichtige Zentralfunktionen von Gamesa wie Personal, Recht, IT, Einkauf und Logistik unter eine einheitliche globale Führung auf Ebene des Energy-Konzerns gestellt werden. Verantwortlich für die Effizienzmaßnahmen wird federführend Vinod Philip sein. Der Manager wird den bisherigen Gamesa-CEO Jochen Eickholt ablösen. Philip arbeitet seit zwei Jahrzehnten im Energiegeschäft, ist seit 2022 im Vorstand von Siemens Energy tätig und gilt als erfahrener Manager in den Bereichen Transformation, Digitalisierung und Innovation.

Neben den Maßnahmen in der Verwaltung soll Gamesa indes auch operativ geschliffen werden. So soll sich der Windanlagenhersteller vornehmlich auf die Märkte in Europa und auf die USA konzentrieren. Hierfür sollen die Fertigungskapazitäten angepasst werden. Gleichzeitig soll das Neugeschäft in den Bereichen Offshore und Onshore jeweils mit dem Servicebereich zusammengelegt werden. Auch hierdurch sollen Synergien realisiert werden, um die Schlagkraft des strauchelnden Unternehmens zu verbessern.

Neue Zahlen von Gamesa: weniger Verlust, weniger Aufträge

Apropos: Das erste Geschäftshalbjahr 2024 (per Ende März) lief für Gamesa zumindest in Sachen Ergebnis bereits besser als zuvor. So lag der Verlust der Energy-Tochter in dem Zeitraum bei „nur“ 875 Millionen Euro. Im Vorjahreszeitraum waren es 1,13 Milliarden Euro gewesen. Allerdings: Die Auftragslage von Gamesa war deutlich eingetrübt. So konnte der Windturbinenhersteller in den sechs Monaten bis Ende März 2024 einen Auftragseingang von 2,4 Milliarden Euro verbuchen und damit -53 % weniger als im Vorjahreszeitraum.

Siemens Energy führt die Flaute auf die Unterbrechung der Vertriebstätigkeit bei den 4.X- und 5.X-Plattformen zurück. Energy hatte den Vertrieb der beiden Onshore-Windturbinenmodelle wegen der Qualitätsprobleme im letzten Jahr temporär eingestellt, um selbige in den Griff zu bekommen. Bis Ende September soll das Geschäft nun wieder aufgenommen werden.

Wegen Prognoseerhöhung: neuer Aufwärtsschub für Siemens Energy-Aktie

Interessant war das jüngste Zahlenwerk aber nicht nur mit Blick auf die Gamesa-Krise. Denn: Auch wenn die Börse in den letzten Jahren mit Argusaugen das Desaster der Windkrafttochter mitverfolgt und bewertet hat, ist Siemens Energy wesentlich mehr als das. Dem Konzern jedenfalls kommt das jetzt endlich zugute.

Wie Sie im Chart sehen können, stieg die Siemens Energy-Aktie nach den Zahlen deutlich nach oben (grüner Pfeil ganz rechts, Stand: 08.05.2024, 10:30 Uhr, Börse Stuttgart):

Quelle: www.aktienscreener.com

Deutlich wird der massive Einbruch des Aktienkurses im zweiten Halbjahr 2023 – bedingt durch die eingangs erwähnten Milliardenverluste und den im Sommer veröffentlichten Bericht zur Qualitätsproblematik der Gamesa-Windturbinen. Bezeichnend ist aber auch, dass der Titel ab November in eine deutliche Gegenbewegung gewechselt ist. Mit dem Kursschub vom letzten Mittwoch hat die Dax-Aktie fast wieder das Niveau von Anfang Juni 2023 erreicht. Offenbar verbindet die Börse mit dem Energietechnikkonzern große Hoffnung.

Das jedenfalls kommt nicht von ungefähr. Siemens Energy hat nämlich im Rahmen der jüngsten Zahlenpräsentation seine Prognose deutlich nach oben geschraubt. So soll der Umsatz im laufenden Geschäftsjahr zwischen +10 und +12 % anwachsen. Zuvor hatte Energy nur +3 bis +7 % in Aussicht gestellt. Das Ergebnis soll sich indes konzernweit weiterhin bei einer Milliarde Euro einpendeln

Netzgeschäft floriert: Lebensader der Energiewende

Energy führt den deutlich besseren Ausblick vor allem auf das florierende Netzgeschäft zurück. In dem Geschäftsbereich stiegen sowohl die Auftragseingänge (+30 %) und die Umsätze (+29 %) als auch das bereinigte Ergebnis (+103 %) und der Free Cashflow (+34 %). Allein die Auftragseingänge des Netzgeschäfts waren in den sechs Monaten bis Ende März kumuliert fast fünfmal so wertvoll wie die von Gamesa.

Siemens Energy ist im Bereich „Grid Technologies“ auf die Herstellung von Produkten zur Stromübertragung spezialisiert. Dazu gehören Schaltanlagen, Transformatoren sowie große Umspannwerke. Der Clou: Diese Technologien spielen im Zuge der Energiewende, die schließlich auf Elektrizität basiert, eine maßgebliche Rolle.

Beispielsweise wird die Technologie von Energy bei der Anbindung von Windparks an das Stromnetz eingesetzt. In der deutschen Nordsee etwa baut das Unternehmen Konverterstationen, um den von Windturbinen erzeugten Wechselstrom in Gleichstrom umzuwandeln. Nur so können die großen Mengen an Energie über weite Strecken verlustarm transportiert werden.

Mein Fazit für Sie

Klar: Die Krise bei Gamesa ist längst nicht überwunden. Meiner Meinung nach überzeugt der Effizienzplan des Mutterkonzerns aber auf ganzer Linie. Gamesa hat somit gute Chancen, nicht nur in die Gewinnzone zurückzukehren, sondern perspektivisch auch zweistellige Margen zu generieren. Unterstützung dürfte es auch hinsichtlich des Makro-Umfelds geben. Sollten die Leit- und Realzinsen bald fallen, würden die Investitionen in die Windkraft in Europa und den USA wohl wieder steigen, was für Gamesa eine neue, margenstärkere Vertragsdynamik bedeuten würde – insofern das Unternehmen die Qualitätsprobleme tatsächlich alsbald in den Griff bekommt.

Darüber hinaus ist Siemens Energy auch mit seinem hervorragenden Netzgeschäft ein wichtiger Player im Bereich Energiewende. Dieser Faktor wurde an der Börse bis dato eher unterschätzt. Nach der Prognoseerhöhung am letzten Mittwoch dürfte vielen Anlegern nun endlich klar sein, dass die Energy-Aktie weit mehr ist als Gamesa. Entsprechend hoch ist meiner Meinung nach das Kurspotenzial.