Wer hat Angst vor NoWaBo?

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Von einem Linksruck in der SPD ist die Rede, von Richtungssuche der Volksparteien, von der Notwendigkeit eines Nachweises ihrer Existenzberechtigung und stärkerer Abgrenzung voneinander: Der überraschend deutliche Sieg des Duos Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken als neue SPD-Vorsitzende könnte die Koalition vor eine neue Zerreißprobe stellen.

Dennoch ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Denn der Vorwurf, mit dem sich die Unionsparteien wie auch die Sozialdemokraten seit Jahren immer wieder konfrontiert sehen, ist doch gerade ihre inhaltliche Annäherung unter der Kanzlerschaft Angela Merkels. Drei ihrer vier Amtszeiten bestritt sie auf Basis einer Großen Koalition, machte sich im Laufe der Zeit etliche einstige SPD-Positionen zu eigen und ließ die Grenzen mehr und mehr verschwimmen.

Wie die Parteienlandschaft unter der GroKo zerfasert

Die SPD, schwer geschädigt von der Ära Schröder und dessen Agenda-Politik, schaffte es trotz beachtlicher Regierungserfolge kaum, daraus politisches Kapital zu schlagen. Wieder und wieder rutschten die Wahlergebnisse der Sozialdemokraten in den Keller. Profitieren konnten davon vor allem die Grünen, die ehemals SPD-besetzte Themen wie die Sozial- und Bildungspolitik zunehmend besetzen und längst mehr sind als eine Ein-Themen-Öko-Partei.

Am rechten Rand erstarkte parallel die AfD, zu der sich neben völkisch gesinnten Wählern auch einige frustrierte Konservative hingezogen fühlen. Die gefühlte Verschmelzung in der politischen Mitte, flankiert von der Ausdifferenzierung der Parteienlandschaft und dem Triumphzug der politischen Extreme führen zunehmend dazu, dass die alten Farbspiele nicht mehr funktionieren. Dreierbündnisse, ungewohnte Koalitionen oder Minderheitsregierungen werden häufiger, bislang vor allem auf Landes-, künftig aber wohl auch auf Bundesebene.

Da ist es nur folgerichtig, dass sich sowohl die SPD als auch die CDU wieder verstärkt ihrer Profilschärfung widmen. Personaldebatten und Richtungsstreitigkeiten sollten gelöst sein, ehe der nächste Wahlkampf auf Bundesebene ansteht. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint völlig offen, wer Merkel im Kanzleramt beerben wird – von Merz, Söder oder AKK über NoWaBo bis Habeck oder Baerbock scheint nahezu alles denkbar.

Börsianer wenig beunruhigt – zumindest nicht durch Berlin

Weil aber angesichts der aktuell relativ chaotischen Verhältnisse kaum eine Partei an Neuwahlen ernsthaft interessiert sein dürfte und es stattdessen bei den angekündigten Nachverhandlungen wohl eher um kleine, präsentierbare Erfolge geht, die man dem Koalitionspartner noch abringen konnte, sorgt die Neubesetzung der SPD-Führungsspitze in Frankfurt vorerst für wenig Furore.

Der Dax reagierte am Montagvormittag kaum, stieg bis in die Mittagsstunden sogar an – und wurde dann einmal mehr von US-Präsident Donald Trump ins Minus gedrückt, der überraschend die sofortige Einführung von Strafzöllen auf Stahl- und Aluminiumimporte aus Argentinien und Brasilien verkündete. Am Parkett fürchtet man nun einen Rundumschlag des unberechenbaren Präsidenten, der auch die EU oder die deutsche Automobilindustrie treffen könnte.

RWE Aktie wegen SPD-Ergebnis tief im Minus

Vereinzelte Werte bekamen die Auswirkungen des Berliner Regierungsbebens jedoch ziemlich direkt zu spüren, darunter der Energieversorger RWE, dessen Papiere um mehr als 5 Prozent ins Minus rutschten. Befürchtet wird ein beschleunigter Kohleausstieg, der sowohl von der neuen SPD-Führung als auch – im Falle doch noch vorgezogener Neuwahlen – von erstarkten Grünen durchgesetzt werden könnte.

Andere Pläne von Esken und Walter-Borjans finden hingegen auch unter Ökonomen durchaus Unterstützung, beispielsweise die Abkehr von der „schwarzen Null“, an der die Unionsparteien seit einigen Jahren beharrlich festhalten und die auch der unterlegene SPD-Bewerber und amtierende Finanzminister Olaf Scholz nicht in Frage gestellt hatte.

Höhere staatliche Investitionen an vielen Stellen sinnvoll

Höhere Investitionen erscheinen ausgesprochen sinnvoll, und die Gelegenheit, Schulden aufzunehmen, ist dank der andauernden Niedrigzinsphase so günstig wie selten zuvor. Das Geld würde dringend gebraucht, beispielsweise um Klimaschutzmaßnahmen auszuweiten, Infrastrukturprojekte wie den Breitbandausbau oder die Sanierung von Straßen- und Schienennetz voranzutreiben oder auch sozialpolitische Ausgaben zu stärken, die wiederum die Kaufkraft und somit den privaten Konsum und letztlich die Konjunktur stützen.

Selbst aus ökonomischer Sicht ist also nicht alles verloren, nur weil Olaf Scholz nicht neuer SPD-Chef geworden ist. Entscheidend wird sein, was die neue Führungsspitze aus ihrem Amt macht. Dass Walter-Borjans und Esken in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend unbekannte Gesichter und unbeschriebene Blätter sind, könnte sich dabei sogar als Vorteil erweisen.