Öl am Scheideweg: IEA und OPEC+ kämpfen um Deutungshoheit

Erdöl
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Als Anleger kommen Sie gar nicht umhin, sich mit der Internationalen Energieagentur (IEA) und der OPEC+ zu beschäftigen. Denn der Einfluss der beiden Organisationen ist schlicht und ergreifend gigantisch. Interessant ist, dass sich die beiden mächtigen Akteure seit Jahren in einem unerbittlichen Konflikt befinden. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht – Sie werden es schon ahnen – die Transformation der Ölbranche.

Öl-Dämmerung: IEA und OPEC+ kämpfen um Deutungshoheit

So hatte die IEA, immerhin die wohl mächtigste Beratungsorganisation für westliche Regierungen in Energiefragen, erst im Oktober das Ende des Ölzeitalters angedeutet. Demnach soll noch in diesem Jahrzehnt der Höhepunkt der globalen Nachfrage nach Erdöl, Erdgas und Kohle erreicht werden. Das bedeutet: Ab den 30er Jahren werden der IEA zufolge die fossilen Brennstoffe immer unwichtiger. Die Experten der Energieagentur begründen die Prognose vor allem mit den Klimaschutzzielen vieler Staaten, die Öl und Co. diametral gegenüberstünden.

Die OPEC+ sieht das naturgemäß anders. Schließlich sind die Mitgliedsstaaten des Kartells enorm abhängig von einem funktionierenden und vor allem gewinnträchtigen Ölmarkt. Die Organisation jedenfalls, zu der Ölproduzenten wie Saudi-Arabien, Iran, Irak, Nigeria, Venezuela, Kuwait, Algerien und Russland gehören, sieht das fossile Zeitalter noch lange nicht am Ende.

Im Gegenteil: Nach neuen Schätzungen der OPEC+ wird die weltweite Ölnachfrage bis 2045 auf 116 Millionen Barrel pro Tag (bpd) ansteigen. In der Grafik sehen Sie die Prognose des Ölkartells und die Bedarfsentwicklung einzelner Sektoren:

Quelle: OPEC (https://www.thenationalnews.com/business/energy/2023/10/09/oil-industry-needs-investments-of-14-trillion-until-2045-amid-growing-energy-demand/)

In der Folge müsse die Weltwirtschaft weiterhin hohe oder gar noch höhere Summen in den Ausbau der Ölkapazitäten investieren. Die OPEC+ spricht hier inzwischen von 14 Billionen US-Dollar bis 2045.

Der Konflikt um die CO2-Abscheidung

Doch die Auseinandersetzung der beiden mächtigen Organisationen basiert nicht nur auf unterschiedlichen Einschätzungen zur Zukunft des Energiesektors. Beide Akteure machen sich gegenseitig auch schwere Vorwürfe. Während die IEA dem Ölkartell ankreidet, durch seine Prognosen das Ölzeitalter künstlich zu verlängern, kritisiert die OPEC+ die Energieagentur, da deren Einschätzungen dazu führen würden, dass die Wirtschaft weniger in Öl investiere, was letztlich die Energieknappheit verschärfen würde.

Ein zentraler Streitpunkt ist indes die CO2-Abscheidung. Vereinfacht gesagt wird dabei das bei industriellen Prozessen entstehende Kohlendioxid eingefangen, bevor es als Treibhausgas in die Atmosphäre gelangt. Anschließend kann das abgeschiedene CO2 unter der Erde gespeichert und damit praktisch endgelagert oder in anderen industriellen Prozessen genutzt werden – etwa in der Chemiebranche oder zur restlichen Ausbeutung von Öllagerstätten (EOR-Verfahren).

Vor allem die US-amerikanischen Öl-Player sehen in dieser Technologie einen hervorragenden Hebel zur Dekarbonisierung klimaschädlicher Industriesektoren und gleichzeitig zur eigenen Bereicherung. Exxon Mobil etwa investiert hohe Summen in die CO2-Abscheidung und prognostiziert einen Multi-Milliarden-Dollar-Markt sowie Gewinnmargen im zweistelligen Prozentbereich. Erst im Sommer hatte Exxon angekündigt, den Pipeline-Betreiber Denbury zu kaufen, dessen Assets zum Transport von CO2 infragekommen.

Kohlenstoffabscheidung als Bremsklotz?

Die IEA hingegen kritisiert die Abscheidungstechnologie scharf und bezeichnete sie kürzlich als „Illusion“. Nach Angaben der Energieagentur müssten bis 2050 32 Milliarden Tonnen Kohlenstoff zur Nutzung oder Speicherung abgeschieden werden, um die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Das resultierte in zwei Problemen.

Erstens: der Stromverbrauch. Um eine solch große Menge abzuscheiden, müssten die entsprechenden Betriebe zur Mitte des Jahrhunderts 26.000 Terawattstunden an Strom aufwenden, so eine Schätzung der Agentur. Das wäre mehr als der gesamte Stromverbrauch der Menschheit im Jahr 2022 (24.398 TWh). Da die Technologie klimatechnisch nur dann wirklich Sinn ergibt, wenn auch der dafür nötige Strom ökologisch erzeugt wird, könnte die CO2-Abscheidung nach der Logik der IEA die Verknappung der Erneuerbaren Energien perspektivisch verstärken.

Zweitens: die Investitionen. Der IEA zufolge müssten horrende Summen in den Ausbau der CO2-Abscheidung gesteckt werden. Konkret prognostizieren die Experten Ausgaben in Höhe von 3,5 Billionen US-Dollar bis zur Jahrhundertmitte. Die Energieagentur findet, dass diese Summe besser in neue ökologische Kapazitäten fließen solle – etwa in die Wind- und Solarkraft.

Allgemein sieht die IEA in der CO2-Abscheidung eine Technologie, die das fossile Zeitalter unnötig verlängere. Die Kritik richtet sich insbesondere an die oben erwähnten US-Player wie Exxon Mobil. In Europa seien die Ölkonzerne wie Shell oder BP in Sachen sauberer Energie investitionsfreudiger. Unterm Strich müsse die globale Ölindustrie bereits bis 2030 insgesamt die Hälfte ihrer Investitionsausgaben in grüne Energieprojekte investieren, forderte die IEA. 2022 seien es aber nur rund 2,5 Prozent gewesen.

Mein Fazit für Sie

Der öffentliche Disput zwischen der IEA und der OPEC+ ist ein Sinnbild für den umfassenden Konflikt, in dem sich die Ölbranche derzeit befindet. Auf der einen Seite muss sich die Branche dekarbonisieren, nicht zuletzt um staatliche Restriktionen zu umgehen. Auf der anderen Seite sind die fossilen Rohstoffe nach wie vor sehr wichtig für das Funktionieren der Weltwirtschaft und nicht zuletzt eine lukrative Geldquelle – auch für Sie als Anleger (Stichwort: Dividenden).

Welche der beiden Seiten am Ende Recht behalten wird, lässt sich aus aktueller Sicht kaum abschätzen. Was allerdings zu konstatieren gilt: Die Erneuerbaren Energien sind zuletzt wegen des schwierigen makroökonomischen Umfelds in die Bredouille geraten, während die Fossilen nach wie vor relativ starke Gewinne generierten. In diesem Kontext von einem frühen Ende des Ölzeitalters zu sprechen, ist meiner Meinung nach utopisch.