Jahresendrally: Mythos oder Börsenweisheit?

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Wie sehr kann man sich auf das Ereignis Jahresendrally verlassen? Folgt es bestehenden Mustern? Wie verhielten sich vergangene Rallies?

Aufgrund von Mittelwert-Analysen statistischer Daten der Börse kommen Experten immer wieder zu der Erkenntnis, das Jahresende sei eine „Bescherung“ für Investoren. Doch stimmt das wirklich? Und was kann ich für meine Anlagestrategie lernen? Wir lassen Zahlen sprechen und erörtern, ob dem Phänomen „Jahresendrally“ zu vertrauen ist.

Jahresendrally: Das ist damit konkret gemeint

Als Jahresendrally wird in Börsenkreisen ein statistisch überproportionales Ansteigen der Aktienindizes in den letzten Monaten des Jahres bezeichnet. Als zaghafter Beginn des Aufwärtstrends wird dabei der Oktober angesehen, der als Nachfolger des statistisch schwächsten Monats des Jahres, September (siehe Monatsanalyse weiter unten), oft starke Kurseinbrüche gutmacht.

Mit November und Dezember folgen dann statistisch meist starke Monate. Die Aktiencharts der Jahre 2001 und 2003 dienen als Paradebeispiele für den idealtypischen Jahresendrally-Verlauf.

Das Jahr 2001 (linker Chart) gab nach einem sommerlichen Kurs-Tiefflug ab Ende Oktober gewaltig Gas. Ebenso das Börsenjahr 2003 (rechter Chart) mit einer Aktienexplosion auf über 4000 Punkte zum Jahreswechsel.Abb.: Das Jahr 2001 (linker Chart) gab nach einem sommerlichen Kurs-Tiefflug ab Ende Oktober gewaltig Gas. Ebenso das Börsenjahr 2003 (rechter Chart) mit einer Aktienexplosion auf über 4000 Punkte zum Jahreswechsel.

Auch in den Jahren 2012 und 2013 war das Phänomen an der Deutschen Börse deutlich zu erkennen.

Der Kursanstieg zu den Jahresenden 2012 und 2013.

Abb.: Der Kursanstieg zu den Jahresenden 2012 und 2013.

DAX-Zeitreihenanalyse 1998-2014

Diese Einzelfälle können jedoch alleinstehend nicht überzeugen. Belegen die Zahlen der letzten 15 Jahre die Existenz einer stabilen Jahresendrally? Am deutlichsten lassen sich solche Börsenphänomene anhand des Deutschen Aktienindex illustrieren, weshalb wir hier den DAX-Verlauf über die Jahre hinweg tabellarisch darstellen.

In folgender Auflistung wird der DAX-Schlussstand am 15. Oktober des Jahres mit dem DAX-Stand zu Beginn des Folgejahres über eine Periode von 16 Jahren verglichen. Die daraus resultierenden Prozentzahlen zeigen den Gewinn- bzw. Verlustanteil am jeweiligen Jahresende.

JahrDAX am 15. OktoberDAX am 4. Januar des FolgejahresDifferenz in PunktenDifferenz in %
19984.391,645.290,36+898,72+20,5
19995.184,236.586,95+1402,72+27,1
20006.627,256.376,54-250,71-3,8
20014.548,485.318,73+770,25+16,9
20023.048,273.092,94+44,67+1,5
20033.570,584.035,90+465,32+13,0
20043.922,114.290,50+368,39+9,4
20054.975,565.523,62+548,06+11,0
20066.186,546.674,40+487,86+7,9
20077.969,477.808,69-160,78-2,0
20084.861,634.983,99+122,36+2,5
20095.830,776.048,30+217,53+3,7
20106.455,276.975,35+520,08+8,1
20115.967,206.111,55+144,35+2,4
20127.261,257.776,37+515,12+7,1
20138.804,449.435,15+630,71+7,2
Mitttelwert+8,3

Tabelle: Vergleich der DAX-Werte zwischen dem 15. Oktober und dem 04. Januar des Folgejahres seit 1998 in Prozent.

Wie aus der Tabelle ersichtlich, gab es in den letzten 16 Jahren zu lediglich zwei Zeitpunkten, Ende 2000 und Ende 2007, negative Jahreswenden-Werte zu verzeichnen. 1998 und 1999 betrug der Gewinn sogar über 20 Prozent, während er im gesamten betrachteten Zeitraum lediglich drei mal unter die 3-Prozent-Hürde rutschte.

Im Schnitt wuchs der DAX in der Periode von Mitte Oktober bis Anfang des Folgejahres damit jährlich um 8,3 Prozent an. In den letzten 30 Jahren gab es indes 26-mal Kursgewinne zum Jahreswechsel. Die stärksten Börsenmonate seit 1959 waren dabei statistisch gesehen der Dezember, mit einem Anstieg von durchschnittlich 1,3 Prozent, sowie der März mit 1,42 Prozent Wachstum.

Die durchschnittliche Performance des DAX in Abhängigkeit vom Monat

Abb.: Die durchschnittliche Performance des DAX in Abhängigkeit vom Monat. Die Werte sind: Januar: +0,62; Februar: +0,28; März: +1,42; April: +0,82; Mai: -0.15; Juni: -0,08; Juli: +0,77; August: -0,19; September: -1,94; Oktober: +0,53; November: +1,21; Dezember: +1,30.

Jahresendrally: Die Ausnahmen

Was war nun in den Ausnahmejahren 2000 (-3,8 Prozent) und 2007 (-2 Prozent) anders?

2000: Dotcom-Blase – Das Ende des Booms des Neuen Marktes begann im März 2000 blitzschnell. Zahlreiche Unternehmen und Anleger hatten sich im Technologie- und Start-up-Wahn verkalkuliert. Bis Oktober 2002, dem tiefsten Stand des Nemax (Index für den Neuen Markt), sollen Anleger um die 200 Milliarden Euro verloren haben.

2007: Globale Bankenkrise nach US-Hypothekenkrise – Die Weltwirtschaftskrise zwang ab August 2007 infolge der Immobilienblase in den USA zahlreiche Börsen in die Knie. Der Nikkei-Index stürzte am 16. Oktober um über 11 Prozent ab und erholte sich nur langsam. Im Oktober 2008 wurde in Deutschland ein Bankenrettungspaket von 480 Milliarden Euro verabschiedet.

Ursachensuche: Gründe für das starke Jahresende

  • „Window Dressing“ der Fondsmanager: Durch Käufe erfolgreicher Aktien versuchen Unternehmen zum Jahreswechsel ihre Bilanz aufzubessern und somit ihr Jahres-Portfolio zu verschönern. Es werden also vor Jahresausklang noch einmal Trend-Aktien erworben, die das eigene Image aufwerten.
  • Zinsen: Viele Investoren kassieren im Dezember und Januar ihre Zinserträge und legen sie dann sofort an, wodurch der Jahreswechsel mit einer Hausse beginnt.
  • Stimmung: In den westlichen Konsumländern herrscht Ende des Jahres große Einkaufslust. Auch die besinnliche Familienstimmung und die häuslichen warmen vier Wände tragen zur erhöhten Anlagebereitschaft bei.
  • Unternehmensstrategie: Viele Anlageentscheidungen und Investitionsstrategien für kommende Quartale beschließen Firmen am Ende des Jahres.
  • Weihnachtsgeld: Der kleine Mittel-Zuschuss vom Arbeitgeber lässt Börsianer großzügig anlegen.
  • Selbsterfüllende Prophezeiung: In Erwartung einer Jahresend-Rally steigen zahlreiche Anleger in den Markt ein oder harren dort aus und bewirken damit das tatsächliche Zustandekommen des erwarteten Hochs.

Was bringen mir die Statistiken?

Statistiken verlocken. Sie geben vor, Sachverhalte mathematisch korrekt, logisch, präzise, und anschaulich zu erklären. Erst die Interpretation auf der Basis eines reichen Wissensfundaments gibt den Zahlenhüllen jedoch Inhalt und Bedeutung. Verlässliche Prognosen lassen sich anhand von statistischen Mittelwerten nicht abgeben, denn sie besitzen keinerlei Vorhersagekraft für kommende Jahre.

Auch wenn sich anhand der gesammelten Daten in der Vergangenheit ein relativ stabiles Muster auftut und sich abweichende Werte mit fundamentalen Finanzkrisen im Nachhinein erklären lassen, so lässt sich nie vorhersagen, wann der nächste Markteinbruch oder die nächste Krise bevorstehen.