AstraZeneca Impfstoff: Besser als sein Ruf

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Deutschland geht es gut – sogar zu gut, wenn man sich den aktuellen Umgang mit der Pandemie näher anschaut.

Schulöffnungen trotz steigender Infektionszahlen

Da ist die überhastete Öffnung von Schulen und Kitas, die an diesem Montag in 10 Bundesländern in Kraft trat, trotz steigender Infektionszahlen und gegen den Rat von Epidemiologen. Virologen warnen wegen der längst auch hierzulande grassierenden, hochansteckenden Virusmutationen eindringlich vor dem nun millionenfachen zusätzlichen persönlichen Kontakt, der landauf, landab nicht nur im Klassenraum, sondern auch im Schulbus stattfindet.

Die Ausstattung der Schulgebäude mit geeigneten Luftfilteranlagen wurde vielerorts ebenso verschlafen wie die Ausarbeitung tragfähiger Konzepte für digitalen Unterricht – als hätte man aus der verlängerten Sommerferienpause nichts gelernt.

Hinzu kommt die aberwitzige Priorisierung von Friseursalons in der Öffnungskette, als ob ein akkurater Haarschnitt, den Bayerns Ministerpräsident Markus Söder unlängst zu einer „Frage der Würde“ hochstilisierte, das drängendste Problem wäre in einem Land, in dem weite Teile der Wirtschaft seit bald einem Jahr faktisch geschlossen sind, der Staat wöchentlich neue Schuldenberge anhäuft, um Hilfsmaßnahmen stemmen zu können, und die Menschen ob der Kontaktbeschränkungen zunehmend wunderlich bis depressiv werden.

AstraZeneca: Impfstoff mit Imageproblem

Das stärkste Zeichen von Dekadenz, das sich Deutschland derzeit erlaubt, ist aber wohl das massenhafte Liegenlassen vorhandener Impfdosen des schwedisch-britischen Herstellers AstraZeneca. Der Wirkstoff hat ein Imageproblem, das in den vergangenen Wochen medial immer weiter aufgebauscht wurde.

Zunächst ging es um Verzögerungen bei den Lieferungen, um gebrochene Absprachen, um Bevorzugung Großbritanniens, dann um die vermeintlich geringere Wirksamkeit des Vakzins im Vergleich zu Konkurrenzpräparaten von Moderna oder Biontech/Pfizer. In anderen Ländern – insbesondere Israel und Großbritannien – laufen seit Monaten die Impfungen auf Hochtouren, auch das Präparat von AstraZeneca wurde und wird hier massenweise verabreicht. Darauf basierend gibt es inzwischen zahlreiche Studien, die belegen: Das Vakzin von AstraZeneca ist weitaus besser als sein Ruf.

Starke Wirksamkeit schon nach kurzer Zeit

Bereits kurze Zeit nach der ersten Dosis verringert sich einer schottischen Studie zufolge das Risiko eines Krankenhausaufenthalts um mehr als 90 Prozent. Wer sich also trotz Impfung das Virus einfängt, ist dennoch in den allermeisten Fällen vor einem schweren Krankheitsverlauf geschützt. Die Todesraten dürften damit rapide absinken, die Krankenhäuser und das Gesundheitssystem insgesamt entlastet werden.

Dennoch lassen in Deutschland massenhaft potenzielle Impflinge ihre Termine ausfallen, weil ihnen das Präparat nicht passt. Sie bleiben lieber vollkommen ungeschützt, als sich auf die ermutigenden Daten der Wissenschaftler zu verlassen, die ganz klar sagen: Je mehr Menschen geimpft sind, egal mit welchem Vakzin, desto sicherer wird die Situation für alle.

Besser Lehrer impfen statt Dosen wegwerfen

Dass in Deutschland mittlerweile mehr als 1 Million Impfdosen von AstraZeneca ungenutzt herumliegen, während die nächste Lieferung von mehr als einer halben Million Dosen schon in wenigen Tagen erwartet wird, ist wenig nachvollziehbar – gerade wenn man bedenkt, dass weite Teile der Welt noch eine ganze Weile warten müssen, bis ihnen überhaupt Impfstoffe zur Verfügung stehen, weil der reiche Westen sich die ersten paar Millionen Fläschchen selbst gesichert hat.

Auf politischer Ebene wurde nun so reagiert, dass Lehrkräfte und Erziehungspersonal aus Schulen und Kindertagesstätten in der Impfpriorisierung vorgezogen werden von der dritten in die zweite Gruppe, die Impfungen können demnach schon bald beginnen. Verabreicht wird ihnen vermutlich vorrangig der Wirkstoff von AstraZeneca, denn der ist gerade en masse vorhanden.

Regierung stemmt sich gegen Impfpflicht

Eine Impfpflicht soll es dennoch nicht geben, zumindest nicht von Seiten des Staats, wie die Regierung nicht müde wird zu betonen. Doch wenn in den kommenden Wochen und Monaten die Impfquote auch hierzulande zunimmt, wird die Diskussion unweigerlich aufkommen, die in anderen Ländern sowie einigen Unternehmen schon jetzt hitzig geführt wird.

Israel hat für Geimpfte beispielsweise einen „grünen Pass“ eingeführt, der sie zur Teilnahme an öffentlichem Sozialleben berechtigt. Einige Touristikkonzerne wie beispielsweise die australische Fluggesellschaft Qantas, aber auch der deutsche Reiseanbieter Alltours haben angekündigt, nur noch geimpfte Touristen zu befördern beziehungsweise in den konzerneigenen Hotels zu beherbergen.

Alltours beherbergt bald nur noch Geimpfte

Alltours unterhält insgesamt 35 Hotels auf den kanarischen Inseln, Mallorca und in Griechenland. Gelten soll der Ausschluss von nicht-Geimpften voraussichtlich ab 31. Oktober, das Datum kann – je nach Verlauf der Impfkampagne – noch angepasst werden.

Die Lufthansa plant nach eigenen Angaben bislang keine Beschränkung auf geimpfte Passagiere, doch der Druck in der Branche wächst, ebenso wie in Kultur und Gastronomie, mit jeder weiteren verabreichten Spritze.

AstraZeneca Aktie unter Druck

Unter Druck steht auch die Aktie von AstraZeneca, die allein in den vergangenen sechs Monaten um rund 15 Prozentpunkte gefallen ist. Das Kommunikationsdebakel zwischen dem Unternehmen und der EU rund um den Jahreswechsel war lediglich der Auftakt.

Setzt sich das Imageproblem weiter fort und bleibt der Impfstoff ein Ladenhüter in den Teilen der Welt, die meinen, es sich leisten zu können, auf ein wirksames Vakzin zu verzichten, könnte das die Umsatzerwartungen dämpfen.