Nord Stream 2: Die letzten Rohre sind verlegt

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Es ist eines der umstrittensten Infrastrukturprojekte der vergangenen Jahre: Die Rede ist von der Pipeline Nord Stream 2, durch die Erdgas aus Russland nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern transportiert werden soll.

Laute Kritik aus Kiew und Washington

Die deutsche Bundesregierung hatte das Projekt stets vorangetrieben, sehr zum Ärger seiner europäischen Partner. Gegenwind kam aber auch aus Ost und West, namentlich von der Ukraine und aus den USA.

Die Ukraine, über deren Territorium bislang ein nicht unerheblicher Anteil der Gaslieferungen aus Russland in Richtung Europa verläuft, fühlt sich übergangen und fürchtet um Einnahmeausfälle aus den bis dato fälligen Transitgebühren.

US-Sanktionen „vorläufig“ vom Tisch

Die USA wiederum sind der Auffassung, dass sich Europa im Allgemeinen und Deutschland im Speziellen zu sehr von Russland und dessen Gaslieferungen abhängig mache, wenn die zweite Ostsee-Pipeline in Betrieb genommen wird. Über Nord Stream 1, die ebenfalls durch die Ostsee verläuft, strömt bereits seit rund einem Jahrzehnt russisches Gas nach Europa.

Die US-amerikanischen Vorbehalte gegen das Projekt führten so weit, dass die Regierung in Washington zeitweise sogar mit Sanktionen drohte – und zwar gegen sämtliche Unternehmen, die an dem Projekt beteiligt sind. Daraufhin legten zahlreiche Firmen ihr Engagement vorläufig auf Eis. Niemand wollte riskieren, die Vereinigten Staaten als Absatzmarkt zu verlieren.

EU-Kommission pocht auf europäisches Recht – auch Umweltverbände klagen

Mittlerweile sind die Sanktionen vom Tisch, zumindest vorläufig. Einige juristische Auseinandersetzungen sind jedoch nach wie vor anhängig, so beispielsweise auf europäischer Ebene, wo es um die Frage von Interessenkonflikten geht: Eigentlich darf der Betrieb einer Pipeline und der Vertrieb des Gases nicht in den Händen desselben Unternehmens liegen, was hier jedoch der Fall wäre mit Blick auf den russischen Gasriesen Gazprom – zumindest bis jetzt.

Juristisch strittig ist allerdings, ob diese Regelung bei Nord Stream 2 tatsächlich zur Anwendung kommt oder nicht. Denn Gazprom arbeitet bereits an einer Entflechtung der Strukturen, um den Betrieb der Pipeline zumindest auf dem Papier in ein eigenständiges Unternehmen auszugliedern. Ob dies den europäischen Aufsichtsbehörden am Ende genügen wird, ist allerdings fraglich.

Auch die Klagen mehrerer Umweltverbände vor dem zuständigen Oberverwaltungsgericht in Greifswald sind noch nicht final entschieden. Sie richten sich gegen die Genehmigung des Bauprojekts durch deutsche Behörden und sollen laut Angaben des Gerichts im kommenden Frühjahr verhandelt werden.

Russland feiert technische Fertigstellung von Nord Stream 2

Dennoch war die Freude – insbesondere auf russischer Seite – groß, als man vor wenigen Tagen die Fertigstellung der Pipeline offiziell verkünden konnte. Mit der Verschweißung der letzten Teile der Rohrleitung gilt Nord Stream 2 nun technisch als vollständig. Derzeit laufen mehrere Testverfahren und Reinigungsabläufe, um einen reibungslosen Betrieb sicherstellen zu können.

Geht es nach den russischen Partnern, sollen noch in diesem Jahr erste Gaslieferungen durch die neuverlegten Unterseerohre nach Europa strömen. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass es noch deutlich länger dauern dürfte, bis die neue Versorgungstrasse tatsächlich in Betrieb geht.

Wird das Projekt zum Milliardengrab?

Sie könnte sich im schlimmsten Fall auch zum Milliardengrab und Investitionsdesaster aus deutscher Sicht entwickeln. Dies wäre nach Einschätzung des Grünen-Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer etwa der Fall, wenn zwar deutsche Behörden grünes Licht geben würden, von Seiten der Europäischen Kommission jedoch wegen rechtlicher Bedenken ein Riegel vorgeschoben würde.

Der Bau der Pipeline hat insgesamt rund 3 Jahre gedauert. Die beiden Rohre sind 1.200 Kilometer lang und sollen künftig jedes Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Gas von Russland nach Deutschland transportieren. Auf Widerstand stößt das Projekt nicht zuletzt auch bei Polen und den baltischen Staaten, die sich von russischer Seite auch rund 30 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion existenziell bedroht sehen.

Russland treibt Gaspreis in die Höhe und macht Druck

Unterdessen erhöht Russland den Druck und pocht auf eine zügige Inbetriebnahme von Nord Stream 2. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, wurde in den vergangenen Monaten lediglich das vertraglich garantierte Minimum an Erdgas nach Europa geliefert, die Vorräte auf dem Kontinent sind nicht mehr allzu üppig – und der Winter steht vor der Tür.

Der könnte kalt werden, heißt es aus Moskau unverblümt, während zugleich der Gaspreis mit Hilfe künstlicher Verknappung und zusätzlich befeuert durch die hohe Nachfrage aus China und anderen Staaten Südostasiens in die Höhe getrieben wird. Mehr als 70 Euro je Megawattstunde waren zuletzt fällig. Zum Vergleich: Während der Pandemie, als die Wirtschaft brachlag und der Bedarf zeitweise eingebrochen war, lag der Preis bei gerade einmal 5 Euro.

Außenpolitisch brisantes Projekt

Schon die bisherige Entwicklung zeigt die politische Brisanz der Pipeline, die zum internationalen Zankapfel geworden ist. Kritiker sehen ihre Bedenken durch die aktuellen politisch-wirtschaftlichen Spielereien aus Moskau bestätigt – und warnen davor, Russland könne die Pipeline künftig umso stärker als politische Waffe gegen Europa einsetzen, um eigene Interessen durchzusetzen.

Hier den richtigen Weg zu finden, wird eine der ersten Aufgaben der neuen Bundesregierung sein. Doch bis die sich in einer tragfähigen Koalition zusammengefunden hat, dürfte es ebenfalls eine ganze Weile dauern.

Herkulesaufgabe für künftige Bundesregierung

Allen bisherigen Prognosen zufolge wird es nach der Bundestagswahl am kommenden Sonntag wohl nicht für ein Zweierbündnis reichen. Eine drei Fraktionen umfassende Koalition jedoch ist auf Bundesebene Neuland und entsprechend schwer tun sich die Parteien mit der Aushandlung, wie bereits in den monatelangen Gesprächen nach der Bundestagswahl 2017 zu beobachten war.

Dementsprechend lange dürfte es nun dauern, bis auf deutscher Seite überhaupt die künftigen Verantwortlichen feststehen. Die Rohre mögen fertig sein, doch ob oder wann die Pipeline tatsächlich in Betrieb geht, ist nach wie vor völlig offen.