Verfassungsgericht erklärt EZB-Programm für teilweise verfassungswidrig

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Deutsche Verfassungsrichter auf Konfrontationskurs zu zwei zentralen europäischen Akteuren: der Europäischen Zentralbank (EZB) einerseits, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) andererseits. Das mit Spannung erwartete und am Dienstag verkündete Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte es in sich.

Nach Auffassung der obersten Verfassungshüter des Landes ist das Anleihekaufprogramm der EZB teilweise verfassungswidrig. Die Karlsruher Richter bemängelten eine fehlende Abwägung der Verhältnismäßigkeit, verneinten aber die der Zentralbank oft vorgeworfene Staatsfinanzierung, die ihr ausdrücklich untersagt ist.

Zucker für die Kläger – Beruhigung für die Märkte

Damit wagten die Verfassungsrichter einen Spagat: Auf der einen Seite gaben sie den Kritikern der EZB-Anleihekäufe ein bisschen Recht, auf der anderen Seite stellten sie das Programm aber nicht grundsätzlich infrage. Auch die weitere Beteiligung der Bundesbank an entsprechenden Programmen ist damit nicht akut gefährdet.

Dies hätte verheerende Folgen gehabt für die EZB und ihr Rettungsprogramm, aber auch weit darüber hinaus für alle Staaten und Wirtschaftszweige, die von diesem Programm profitieren und deren ökonomisches Überleben teilweise wesentlich davon abhängig ist, dass die Anleihekäufe funktionieren.

Rund 2,6 Billionen Euro hat die EZB über entsprechende Maßnahmen seit der Finanzkrise vor zehn Jahren in den Wirtschaftskreislauf gepumpt – etwas anderes blieb ihr kaum übrig, nachdem die Leitzinsen bereits auf null abgesenkt waren.

Kritik an der Politik

Die Karlsruher Richter kritisierten zudem, dass sich die zuständigen Politiker innerhalb der Eurozone allzu gern darauf verlassen, dass die EZB das ökonomische Problem in Krisenzeiten schon irgendwie lösen werde, anstatt selbst entsprechende Maßnahmen anzustrengen.

Aus Politikersicht ist das wesentlich bequemer angesichts des enormen Konfliktpotenzials, das mit der Finanzierung von wie auch immer gearteten Rettungsschirmen einhergeht. Daran können Koalitionen zerbrechen und Politikerkarrieren gefährdet werden, auch die Wählergunst könnte in die eine oder andere Richtung beeinträchtigt werden.

Von diesem heißen Eisen lässt man daher lieber die Finger – die EZB regelt das schon. So einfach geht das nicht, stellte das Bundesverfassungsgericht nun klar und forderte Bundestag und Bundesregierung explizit dazu auf, eine stärkere Verhältnismäßigkeitsprüfung von der Zentralbank einzufordern.

Märkte erleichtert – Verhältnismäßigkeit wohl reine Formsache

Drei Monate hat die EZB nun Zeit, ihre Abwägungen darzulegen – eine reine Formsache, denn tatsächlich ist davon auszugehen, dass entsprechende Abwägungen sehr wohl stattgefunden haben und nun lediglich noch einmal zusammengetragen werden. Ein bisschen bürokratischer Zusatzaufwand, mehr aber auch nicht. Substanziell gefährdet ist der Kurs der EZB damit nicht.

Entsprechend erleichtert reagierten auch die Märkte: Der Dax sackte nach Verkündung des Urteils nur zeitweise ab, drehte aber wieder ins Plus. Man hatte offenbar mit Schlimmerem gerechnet.

Juristisch interessant könnte das Kompetenzgeschacher zwischen Bundesverfassungsgericht und EuGH mittelfristig wirken: Mit ihrem Urteil bescheinigten die Karlsruher Richter den Kollegen auf EU-Ebene, ihre Kompetenzen überschritten zu haben, als diese Ende 2018 die Anleihekäufe gebilligt hatten. Es droht ein Streit zwischen zwei mächtigen juristischen Institutionen.