Krise als Chance: Welche Potenziale in der Energiekrise stecken

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Deutschlands Wirtschaft ist im Krisenmodus, um nicht zu sagen: im Dauerkrisenmodus.

Erst hat die Corona-Pandemie die Lieferketten jäh unterbrochen, ganze Branchen kamen monatelang zum Erliegen. Besonders stark betroffen waren damals Gastronomie und Tourismus, aber auch der stationäre Einzelhandel hatte mit den wiederkehrenden Lockdowns und Einschränkungen zu kämpfen.

Kaum schien die Krise einigermaßen überwunden und die Erholungsphase bevorzustehen, marschierten Putins Truppen im Februar in die Ukraine ein – und überrumpelten damit erneut auch die Wirtschaft.

Verkraftbare Sanktionen für westliche Unternehmen

Die Sanktionen, die von Seiten westlicher Regierungen umgehend verhängt wurden, wären für sich genommen noch halbwegs gut verkraftbar gewesen. Zwar waren zahlreiche Firmen am russischen Markt aktiv, die wirtschaftliche Bedeutung fiel mit ein paar Prozent aber überwiegend nicht ins Gewicht. Der russische Markt war für internationale Standorte oder Exporte nie ein so wichtiges Standbein wie etwa China, die USA oder der europäische Binnenmarkt.

Aber beim Rückzug aus Russland allein blieb es bekanntlich nicht. Die Reaktion des Kremls auf die Sanktionen war die schrittweise Reduzierung der Gaslieferungen nach Europa, bis hin zum vollständigen Lieferstopp vor wenigen Wochen. Davon besonders betroffen ist Deutschland.

„Wandel durch Handel“ (spätestens) seit Februar gescheitert

Nach dem Grundsatz „Wandel durch Handel“ hatte man sich seit den 1990er Jahren an Russland anzunähern versucht, spätestens seit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders mündeten diese Bemühungen schließlich in eine starke Abhängigkeit Deutschlands von Energielieferungen aus Russland.

Anstelle diversifizierter Energiepolitik folgten zwei Jahrzehnte der geradezu exklusiven Energieversorgung Deutschlands durch Russland. Das rächt sich jetzt. Putin weiß um seine Macht, die er mit dem Abdrehen des Gashahns ausspielen konnte, und er hat es getan. Hatte sich Russland in der Vergangenheit, selbst in Zeiten des Kalten Krieges, als zuverlässiger Lieferant erwiesen, der seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommt, scheint es dem Kreml-Chef inzwischen völlig egal zu sein, dass er mit seinem Vorgehen auch dem eigenen Land massiven Schaden zufügt.

Energiekrise und Inflation: Verbraucher und Unternehmen in existenziellen Nöten

Die explodierenden Preise für Energie im Allgemeinen und Gas im Speziellen haben in den vergangenen Monaten die Inflation extrem angeheizt. Nicht nur Verbraucher, auch Unternehmen überall in Europa ächzen unter den stark gestiegenen Kosten, die nur bedingt über staatliche Hilfen abgefedert werden können.

In der aktuellen Lage fällt es schwer, sich vorzustellen, wie diese Krise etwas Gutes hervorbringen sollte. Doch es gibt durchaus Ansätze, die Krise auch als Chance zu begreifen. So hat sich die Pandemie als dringend notwendiger Beschleuniger in Sachen Digitalisierung erwiesen. Gnadenlos wurden die Schwachstellen offengelegt, wurde offensichtlich, in welchen Gegenden es noch hapert mit dem reibungslosen Internetanschluss, der notwendig war für Home Office und Home Schooling.

Unternehmen und Bildungseinrichtungen, die sich zuvor noch teilweise schwergetan hatten, waren nunmehr gezwungen, digital nachzurüsten und Einrichtungen wie Beschäftigte entsprechend auszustatten.

Welche Chancen stecken in der Energiekrise?

Die aktuelle Energiekrise könnte analog dazu beitragen, den Wandel zu beschleunigen. Zwar wirkt es erst einmal wie ein Umschalten in den Rückwärtsgang, wenn sich jetzt selbst der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck für eine Laufzeitverlängerung zweier Atomkraftwerke ausspricht, um die Versorgung über die Wintermonate sicherzustellen.

Doch mittelfristig spricht vieles dafür, dass in der Folge der Ausbau Erneuerbarer Energien stärker als bislang vorangetrieben wird. Die hohen Kosten für Energie, die wohl nicht so bald auf das Vorkrisenniveau zurückgehen dürften, setzen zudem Anreize zum Energiesparen für Privathaushalte wie auch Unternehmen.

Energieeffizienz wird zum Kostenfaktor

Energieeffizienz wird zum Kostenfaktor – aber nicht im bisherigen Sinne, dass hohe Investitionen den Wandel blockieren, sondern vielmehr wird nun spürbar, dass sich solche Investitionen auf lange Sicht lohnen. Wer weniger Energie verbraucht und damit die eigenen Kosten senkt, hat mehr Spielräume, Gewinne zu erwirtschaften.

Nicht nur in Sachen Energie, sondern auch mit Blick auf das andere große Thema des Jahrzehnts scheinen sich bereits jetzt Auswirkungen abzuzeichnen: Die Rede ist von der Verkehrswende. Um die CO2-Bilanz insgesamt zu verbessern, braucht es eine Stärkung des ÖPNV. Ein erster Schritt in diese Richtung war das auf drei Monate limitierte 9-Euro-Ticket im vergangenen Sommer, das sich als voller Erfolg erwiesen hat und auf große Resonanz in der Bevölkerung stieß.

9-Euro-Ticket als Beschleuniger der Verkehrswende?

Millionenfach kauften die Menschen das bundesweit gültige Nahverkehrsticket, das für 9 Euro einen ganzen Monat lang Mobilität versprach. Längst diskutieren Verkehrsforscher und Stadtentwickler über die Lehren aus dem Pilotprojekt, längst versucht sich die Bundesregierung auf ein Nachfolgeticket zu verständigen.

Es war ein cleverer Schachzug der Grünen, das 9-Euro-Ticket ins zweite Entlastungspaket hineinzuverhandeln – denn nach dem großen Erfolg und der breiten gesellschaftlichen Debatte rund um das Ticket ist es kaum möglich, den Bedarf noch einmal zu ignorieren.

Lehren aus dem krisenbedingten Pilotprojekt

Dabei ist nicht nur eine günstige Preisgestaltung entscheidend für den langfristigen Erfolg der Verkehrswende hin zum ÖPNV, auch das Angebot muss ausgeweitet werden, insbesondere in ländlichen Regionen. Mit dem Ticket allein ist es nicht getan, vielmehr braucht es massive Investitionen in die Infrastruktur und regionalen Verkehrsbetriebe. Es ist eine Mammutaufgabe, die sich nicht kurzfristig erledigen lassen wird, sondern Jahre in Anspruch nimmt. Doch politisch gewollt und geplant war die Verkehrswende ohnehin für das laufende Jahrzehnt, das Ticket könnte nun als Katalysator wirken und den Wandel beschleunigen.

Es gilt insofern, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht aufzugeben, selbst wenn dieser Tage alle Zeichen auf Krise stehen und es ein weiter Weg werden wird durch einen voraussichtlich beschwerlichen Winter. Am Ende könnte die deutsche Wirtschaft auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen.