Johnson holt absolute Mehrheit – Brexit wohl im Januar

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Es war eine Schicksalswahl in Großbritannien, und das von den britischen Wählern gewählte Schicksal heißt: Boris Johnson.

Obwohl er laut Umfragen der unbeliebteste Premierminister des Landes ist, unbeliebter noch als etwa seine Vorgängerin Theresa May, stand bereits kurz nach den ersten Hochrechnungen fest, dass Johnson mit seinen Tories einen Erdrutschsieg eingefahren hat.

Unmittelbar nach Schließung der Wahllokale zeichnete sich eine absolute Mehrheit für die Konservativen ab, und zwar eine derart komfortable, dass selbst Abweichler in den eigenen Reihen den von Johnson eingeschlagenen Kurs wohl nicht mehr gefährden können.

Johnsons Kurs lautet, entsprechend seinem Wahlkampf-Mantra: Get Brexit done – bringt den Brexit zu Ende. Eine Forderung, die nach dreieinhalb Jahren zermürbender Debatten zwischen Großbritannien und der EU, aber auch zwischen den Lagern in Parlament, Parteien und Gesellschaft vielen Wählern verlockend erschien.

Den Stillstand überwinden – zur Not eben mit Johnson

Bereits vorab hatte sich abgezeichnet, dass bei dieser Unterhauswahl nur zwei Ausgänge realistisch sein würden: entweder ein Sieg des Johnson-Lagers oder eine erneute Pattsituation. Eine solche hatte das Parlament in den vergangenen anderthalb Jahren gelähmt, es gab keine Mehrheiten, weder für einen harten Brexit noch für einen Deal noch für einen Verbleib in der EU noch für ein zweites Referendum.

Diese Zeiten sind nun vorbei. Johnson kann durchregieren. Alles deutet darauf hin, dass seine Marschroute lautet, die Brexit-Frist – aktuell der 31. Januar – diesmal einzuhalten. Der vierte Austrittstermin dürfte der tatsächliche werden. Alle Hoffnungen, das Ausscheiden der Briten aus der europäischen Staatengemeinschaft doch noch irgendwie zu verhindern, haben sich in der letzten Nacht endgültig zerschlagen.

Sollbruchstellen im Königreich

Doch das Brexit-Drama endet damit nicht, ganz im Gegenteil: Es fängt gerade erst an. Denn während Johnson nun vor schwierigen Verhandlungen mit Brüssel steht, um das künftige Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU zu regeln, zeichnen sich im Königreich nach der Wahl ganz andere Risse und Sollbruchstellen ab.

Die Separatisten – sowohl die schottischen als auch die nordirischen – konnten klare Zugewinne für sich verbuchen. Der Ruf der Schotten nach einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum dürfte mit dem besiegelten Brexit wieder lauter werden. In Nordirland gibt es auch nicht wenige, die einen Anschluss an Irland und damit eine Rückkehr in die EU befürworten würden. Im offiziell zum Vereinigten Königreich zählenden Gibraltar an der Südspitze Spaniens waren die Proteste gegen den Brexit bereits in der Vergangenheit lautstark zu vernehmen, auch sie dürften nun wieder an Fahrt aufnehmen.

Bleibt vom einst stolzen britischen Empire nach dem Brexit also nur noch ein kümmerlicher Rumpf übrig, bestehend aus England, Wales und ein paar verstreuten Überseegebieten?

Ganz so weit ist es noch nicht, aber es zeichnet sich ab, dass die kommenden Jahre ungemütlich werden dürften und die anstehenden Debatten die bisherigen noch in den Schatten stellen könnten. Das Kalkül, mit der Wahl Johnsons den Brexit als beherrschendes Thema vom Tisch zu bekommen, dürfte jedenfalls nicht aufgehen.

Labour sucht sich selbst

Und Labour? Die andere altehrwürdige Partei ist bis auf weiteres damit beschäftigt, ihre Wunden zu lecken, sich von der erfolglosen Links-Ära unter Jeremy Corbyn zu erholen und die Risse in den eigenen Reihen zu kitten.

Nachdem zumindest die ja/nein-Frage um den Brexit nun abgeräumt ist, wird es zur Hauptaufgabe der Partei, sich in der Opposition wieder eine klare Linie zu erarbeiten. Ihr nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Angebot konnte zuletzt nicht überzeugen, Labour stand weder klar für einen Brexit noch eindeutig dagegen, selbst Parteichef Corbyn vermied es, sich zu positionieren und wich stets aus auf ein angestrebtes zweites Referendum.

Labour wurde zerrieben zwischen den Lagern, die Wähler wanderten ab zu anderen politischen Angeboten, die entweder glaubhaft für einen EU-Verbleib kämpften – oder sie wendeten sich eben den Tories zu, die unter Johnson in den vergangenen Monaten zur Brexit-Partei mutiert sind.

Die zurückliegenden dreieinhalb Jahre seit dem Austrittsvotum waren nervenaufreibend, die kommenden dürften nicht minder interessant werden – bis zur nächsten Wahl.