EU-Ratspräsidentschaft: Fremdbestimmt durch zwei Themen

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Nun ist es also soweit. Seit gestern steht Angela Merkel auf der wohl letzten großen Bühne ihrer Amtszeit: Deutschland hat die EU-Ratspräsidentschaft übernommen und wird dadurch in den kommenden sechs Monaten die inhaltliche Agenda des Staatenverbunds wesentlich mitgestalten.

An Wünschen und Begehrlichkeiten mangelt es nicht: Klima- und Umweltschützer hoffen auf grüne Akzente der Kanzlerin, Menschenrechtsorganisationen pochen auf eine europäische Lösung im Umgang mit Flüchtlingen, die Erwartungen sind hoch.

Merkel selbst hatte sich ursprünglich eine Neujustierung des Verhältnisses Europas zu China und den USA auf die Fahnen geschrieben – doch dann kam Corona.

Corona-Pandemie bestimmt EU-Agenda maßgeblich

Die Pandemie und ihre Folgen werden wohl die Ratspräsidentschaft wesentlich mitbestimmen. Zudem sind sechs Monate schnell vorbei. Die hohen Ansprüche, die von allen Seiten an die Kanzlerin herangetragen werden, können kaum alle erfüllt werden.

Stattdessen ist Merkels Kernkompetenz einmal mehr gefragt: Sie gilt gerade im Ausland als erfahrene und kompetente Krisenmanagerin, die besonnen und umsichtig auf Herausforderungen zu reagieren weiß. Genau das ist jetzt vielleicht wichtiger denn je.

Die Corona-Pandemie bringt wirtschaftliche und auch gesellschaftliche Verwerfungen mit sich. Dass die meisten Länder vor allem mit national orientierten Regelungen kurzfristig reagiert haben, zeigt den Mangel an Vertrauen in Europa: Die eigenen Grenzen dichtzumachen, erschien schneller umsetzbar und besser legitimiert als auf europäische Antworten zu warten. In der kurzfristigen Eindämmung des Infektionsgeschehens war das auch durchaus sinnvoll. Dennoch kann Europa den Weg aus der folgenden Wirtschaftskrise nur gemeinsam meistern.

Hilfen für Europa – auch im Interesse Deutschlands

Es wird nicht reichen, die Konjunktur nur in einzelnen Staaten wieder anzukurbeln – als Exportnation ist gerade Deutschland darauf angewiesen, dass es auch den europäischen Partnern gutgeht, die einen erheblichen Absatzmarkt für deutsche Industrieprodukte bilden.

Über mögliche Hilfsmaßnahmen wird seit Wochen diskutiert, im Gespräch sind Kredite, Zuschüsse oder eine Mischform aus beidem für die besonders stark von der Pandemie betroffenen Länder. Vor allem Spanien und Italien hatten vergleichsweise hohe Infektions- und Todesraten zu beklagen, beide leiden zudem erheblich unter dem Einbruch ihrer Tourismusbranche, die einen wesentlichen Eckpfeiler der jeweiligen volkswirtschaftlichen Leistung ausmacht.

Brexit braucht kluge Moderation

Und dann ist da noch der Brexit. Auch hier gehen die Verhandlungen in den kommenden Wochen in eine entscheidende Phase. Großbritannien möchte sich die Rosinen herauspicken, von europäischen Benefits profitieren, ohne die damit verbundenen Beschränkungen zu akzeptieren. Die EU will genau das verhindern, wohl auch, um mögliche Nachahmer abzuschrecken. Beide Seiten pokern hoch, am Ende werden voraussichtlich beide verlieren.

Es liegt nun an Angela Merkel, Corona-Folgen und Brexit-Verhandlungen während ihrer Ratspräsidentschaft klug zu begleiten und zu moderieren – und sich damit von der internationalen Bühne zu verabschieden, ehe ihre Amtszeit im kommenden Jahr zu Ende geht.