Bundesverfassungsgericht kassiert Wucherzins bei Steuerverspätung

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Hand aufs Herz: Können Sie sich erinnern, wann Sie das letzte Mal 6 Prozent Zinsen bekommen haben? Einfach so, garantiert und ohne Verlustrisiko?

Am freien Kapitalmarkt zumindest dürfte das schon ein Weilchen zurückliegen. Doch der Staat machts möglich – noch. Bislang wurden verspätete Steuererstattungen mit einem Zins von 0,5 Prozent pro Monat oder eben 6 Prozent pro Jahr versehen.

Milliardeneinnahmen für die Bundeskasse

Für den Bundeshaushalt ein lohnendes Geschäft – denn die Zinsen werden auch umgekehrt fällig, wenn Steuerzahler in Verzug geraten, genauer gesagt: Wenn sich die Festsetzung um mehr als 15 Monate verspätete, unabhängig davon, auf welcher Seite die Verantwortung dafür lag. Der Verspätungszins ist somit nicht als Bestrafungsinstrument gedacht – anders als etwa der Säumniszuschlag – und gilt einheitlich für die Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer.

Verspätete Zahlungen der Bürger waren regelmäßig häufiger der Fall als verspätete staatliche Rückerstattungen von zu viel vorausgezahlter Steuer. Rund 1 Milliarde Euro extra hat der Bundesfinanzminister auf diese Weise Jahr für Jahr zwischen 2010 und 2018 verbuchen können, lediglich 2020 fiel die Rechnung unterm Strich ausnahmsweise mal zu Lasten der Staatskasse aus.

Wo gibt es noch 6 Prozent sichere Rendite?

Die Theorie dahinter lautete: Wer Steuern verspätet bezahlt, könnte das Geld in der Zwischenzeit gewinnbringend anlegen. Hierfür wurde ein fester Zinssatz von 6 Prozent angenommen, der erwirtschaftet werden könnte, wenn das Kapital, das eigentlich in die Staatskasse fließen soll, erst verzögert gezahlt wird. Das Problem dabei: Der Zinssatz wurde 1961 festgelegt und seitdem nicht mehr verändert.

Eine solche Rendite aber ist mittlerweile völlig realitätsfern, urteilte nun das Bundesverfassungsgericht und gab damit Anfang der Woche zwei Steuerzahlern recht, die gegen entsprechende Zahlungsaufforderungen geklagt hatten. Spätestens seit 2014, so die Argumentation der Richter, lasse sich seriös eine solche Rendite nicht mehr ohne Weiteres am freien Markt erwirtschaften.

Neue Regierung muss zügig aktiv werden

Der Bund ist daher aufgefordert, seinen Zinssatz den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Dafür haben die Karlsruher Richter eine Frist gesetzt bis Ende Juli 2022. Es dürfte also eines der ersten Projekte der noch zu wählenden neuen Bundesregierung in der neuen Legislaturperiode werden. Überprüft werden sollen auf jener Basis dann alle Steuerbescheide seit 2019. Vorherige Zahlungen bleiben von den Neuerungen unberührt.

Dabei ließen die Verfassungsrichter dem Gesetzgeber freie Hand bei der konkreten Ausgestaltung. Ob also ein neuer, niedrigerer Festzinssatz definiert, ein regelmäßiger Überprüfungsturnus eingeführt, auf eine variable Spannbreite zurückgegriffen oder eine Kombination aus all diesen Schritten vorgenommen wird, ist derzeit noch offen. Sicher ist nur: Der Zinssatz dürfte künftig wohl deutlich unterhalb der bisherigen 6 Prozent liegen.

Notenbanken halten Zinsen dauerhaft niedrig

Dies wiederum geht zurück auf die Finanzkrise, die vor gut einem Jahrzehnt die Weltwirtschaft in ihren Grundfesten erschüttert hat und in der Folge zu einer anhaltenden Niedrigzinspolitik von Seiten der Notenbanken führte. Noch immer verlangt die Europäische Zentralbank Strafzinsen von Banken, die ihr Geld bei der EZB parken.

Diese Niedrig- bis Nullzinspolitik wurde überwiegend an die Verbraucher weitergereicht. Kredite sind günstig zu haben, Spareinlagen hingegen werfen nicht einmal mehr genug ab, um die Inflation auszugleichen. Selbst Negativzinsen werden mittlerweile von zahlreichen Banken auch bei Privatkunden erhoben, wenn diese bestimmte Schwellenwerte beim Guthaben auf ihrem Girokonto überschreiten.

Eine Kehrtwende in Sachen Zinspolitik ist derzeit nicht zu erwarten, schließlich gilt es nun erst einmal, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern. Also muss stattdessen nun die Politik tätig werden und ihren Zinssatz herunterschrauben.

Richter müssen Regierung mehrfach ermahnen

Es ist unterdessen nicht das erste Mal, dass das Bundesverfassungsgericht die Regierung ermahnen muss, Nachbesserungen vorzunehmen. Für Aufsehen sorgte zuletzt das Urteil aus Karlsruhe zum Thema Klimaschutz und Umweltpolitik, das eine Grundrechtsverletzung jüngerer Generationen attestierte, sollten die Klimaschutzvorgaben nicht deutlich ambitionierter verfolgt werden.

In Berlin reagierte man, als hätten die Karlsruher Richter Eulen nach Athen getragen: Die Regierungsvertreter überschlugen sich förmlich mit Nachbesserungsvorschlägen, als hätten sie das schon immer gewollt. Warum dann nicht gleich so, fragt der Wähler, und auch die Opposition reibt sich verwundert die Augen.

Auch das Finanzministerium musste bereits mehrfach aus Karlsruhe animiert werden, notwendige Veränderungen vorzunehmen. Auf entsprechende Initiativen von Bundestag oder Bundesrat hatte man in der Vergangenheit zögerlich bis ablehnend reagiert.

Nun aber ist das höchstrichterliche Urteil gesprochen: Der Wucherzins wird abgeschafft.