Konjunkturaussichten auf Jahre gedämpft

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Der Hoffnungsschimmer lag stets in der Zukunft. Immer wieder gingen Ökonomen seit Beginn der Pandemie davon aus, dass eine umfassende wirtschaftliche Erholung nur eine Frage der Zeit sei.

Aufschwung immer wieder verschoben

Im Frühjahr 2020, während sich das noch weitgehend unerforschte Virus auch in Deutschland ausbreitete und die Bundesregierung drastische Beschränkungen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens auf den Weg brachte, ging man noch davon aus, dass sich bereits im Sommer ein Aufschwung abzeichnen würde.

Doch die Pandemie zog sich hin – und die Aussicht auf einen Aufschwung wurde immer wieder verschoben, erst auf 2021, dann auf 2022. Tatsächlich standen die Chancen für dieses Jahr nicht schlecht, immerhin ist ein Großteil der Einschränkungen inzwischen aufgehoben worden. Doch Probleme in den Lieferketten, Materialmangel, Inflation und seit Ende Februar insbesondere der Krieg in der Ukraine würgen die Konjunktur erneut ab.

Fällt die Konjunkturerholung komplett aus?

Mittlerweile herrscht Ernüchterung. Der nachpandemische Aufschwung könnte komplett ausfallen. Führende Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre optimistischen Herbstprognosen längst kassiert und die Wachstumsziele halbiert. Auch die Bundesregierung hat ihre Prognose für das laufende Jahr in dieser Woche noch einmal nach unten korrigiert: Nach 4,1 Prozent im Herbst und immerhin noch 3,6 Prozent im Januar geht das Bundeswirtschaftsministerium nunmehr von lediglich 2,2 Prozent Wirtschaftswachstum in 2022 aus.

Ebenfalls in dieser Woche wurden erste konkrete Zahlen bekannt. Demnach ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal minimal gestiegen um 0,2 Prozent, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Damit ist Deutschland knapp an einer „technischen Rezession“ vorbeigekommen, nachdem die Wirtschaftsleistung im Schlussquartal 2021 um 0,3 Prozent geschrumpft war. Eine technische Rezession bedeutet zwei aufeinanderfolgende Quartale mit rückläufigem Wirtschaftswachstum.

Genau davor warnen inzwischen immer mehr Stimmen – insbesondere für den Fall, dass Russland kurzfristig die Gasversorgung für weitere Länder kappt. Lieferungen nach Polen und Bulgarien hat Moskau Mitte der Woche bereits eingestellt. Deutschland ist nach wie vor stark abhängig vom Import russischer Rohstoffe und insbesondere Erdgas, ein Lieferstopp würde nach Einschätzung der Bundesbank zielsicher in eine Rezession führen – nicht nur in eine technische, sondern in eine echte.

US-Wirtschaft in Q1 überraschend geschrumpft

Überraschend geschrumpft ist die Wirtschaftsleistung der USA im ersten Quartal. Weil die Wachstumsraten annualisiert, also aufs Gesamtjahr hochgerechnet, werden, sind sie nicht direkt mit den europäischen Werten vergleichbar. Dennoch wird deutlich, wie drastisch auch in den Vereinigten Staaten die Unternehmen unter den vielfältigen Herausforderungen leiden: Nach einem starken Wachstum von 6,9 Prozent im Schlussquartal 2021 waren Experten eigentlich von einem weiteren, wenn auch mit 1,1 Prozent deutlich geringeren Wachstum ausgegangen. Tatsächlich aber schrumpfte die US-Wirtschaft – aufs Jahr hochgerechnet – im Zeitraum von Januar bis Ende März um 1,4 Prozent.

Zugleich stieg die Inflationsrate weiter an: Im März legten die Verbraucherpreise in den USA um satte 8,5 Prozent zu. In Deutschland lag die Preissteigerung im April mit 7,4 Prozent bereits den zweiten Monat in Folge oberhalb der 7-Prozent-Marke. Der Krieg in der Ukraine hinterlässt hier sichtbare Spuren: Von Oktober bis Februar fiel die Inflationsrate mit 4,5 bis 5,3 Prozent zwar ebenfalls ungewöhnlich hoch aus, seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine Ende Februar aber verzeichnen die Preise erneut einen sprunghaften Anstieg – den höchsten seit 1981.

Deutsche Bank warnt vor zweistelligen Inflationsraten

Für das Gesamtjahr rechnen Ökonomen und auch die Bundesregierung inzwischen mit einer Inflationsrate von 6,1 Prozent. Die Deutsche Bank warnt sogar vor noch höherer Inflation und geht in ihren aktuellen Prognosen von Teuerungen um 7 bis 8 Prozent aus – im Falle eines Energieembargos gegen Russland könnte die Inflationsrate demnach sogar zweistellige Werte erreichen.

Eine Entspannung der Lage ist bis auf Weiteres nicht in Sicht. Vor allem die Preise für Energie sind in den vergangenen Monaten in die Höhe geschossen. Das lässt die Erzeugerpreise ansteigen, die ihre höheren Kosten wiederum oftmals an die Verbraucher weitergeben.

Wirtschaftsaussichten bis 2024 eingetrübt

Unterdessen ist der kräftige Post-Corona-Aufschwung wohl endgültig abgesagt: Laut einer aktuellen Erhebung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) rechnen Experten auch für die kommenden Jahre mit nur geringfügigem Wirtschaftswachstum. Nach 2,0 Prozent im laufenden Jahr schätzen sie demnach das Wachstum für 2023 mit 2,5 Prozent und für 2024 mit 2,0 Prozent ein.

Seine Prognosen gesenkt hat auch der Internationale Währungsfonds (IWF) – und zwar global. Beim weltweiten Wirtschaftswachstum geht der IWF für das laufende Jahr nur noch von 3,6 Prozent aus, das sind 0,8 Prozent weniger als in der vorangegangenen Prognose. Für die Eurozone korrigierte der IWF das Wachstumsziel von 3,9 auf 2,8 Prozent, für Deutschland von 3,8 auf 2,1 Prozent.

Neben dem Krieg in der Ukraine sind es vor allem Materialengpässe, gestörte Lieferketten und nach wie vor kaum vorhersehbare Corona-Risiken, die die wirtschaftliche Erholung ausbremsen. Pandemiebedingte Lockdowns – wie zuletzt in Shanghai – haben weitreichende Auswirkungen auf die Lieferketten rund um den Globus, selbst wenn Corona in der öffentlichen Wahrnehmung hierzulande immer weiter in den Hintergrund gerückt ist.

Notenbanker unter Druck – doch ihr Einfluss ist begrenzt

Angesichts der galoppierenden Inflation steht die Europäische Zentralbank zunehmend unter Druck. Etliche Ökonomen fordern eine Anhebung des Leitzinses, doch Europas Währungshüter zögern. Bislang hält die EZB an ihrer Nullzinspolitik fest, eine Zinswende ist den Ankündigungen zufolge frühestens ab dem zweiten Halbjahr zu erwarten. Die Notenbanker scheuen sich vor dem Schritt, weil höhere Zinsen eine weitere Belastung für die Konjunkturentwicklung darstellen würden. Dennoch scheint eine Zinsanhebung unausweichlich.

Die US-Notenbank hat den Schritt bereits gewagt und vor wenigen Wochen eine erste zaghafte Zinsanhebung um 0,25 Prozent beschlossen – die erste seit 2018. Dabei kündigte die Fed bereits mehrere weitere Zinsschritte im Jahresverlauf an.

Betrachtet man jedoch die vielfältigen Risikofaktoren, die das Wirtschaftswachstum derzeit gefährden und Prognosen so schwierig machen wie selten zuvor, scheinen die tatsächlich spürbaren Eingriffsmöglichkeiten auch seitens der Notenbanken begrenzt zu sein.

Mit einer spürbaren Entspannung der Lage ist wohl zumindest in diesem Jahr nicht mehr zu rechnen.