Angst vor der nächsten Finanzkrise wächst

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War es ein Wink mit dem Zaunpfahl, als Mitte Oktober  die Preisträger für den Wirtschafts-Nobelpreis 2022 bekannt gegeben  wurden? Die drei US-Professoren, die am 10. Dezember ausgezeichnet werden, bekommen die Auszeichnung wegen ihrer Forschungen zu Finanz- und Bankenkrisen. Das passt in eine Zeit, in der immer öfters vor einer neuen Finanzkrise gewarnt wird.

Notenbanken handeln seit 15 Jahren nach dem Motto: Viel hilft viel

Der bekannteste des Nobelpreis-Trios, Ben Bernanke, hat in der Finanzkrise 2008/2009 als US-Notenbankchef viel dazu beigetragen, dass die damalige Banken- und Schuldenkrise die Weltwirtschaft nicht in eine jahrelange Depression gestürzt hat. Seine Forschungen zur Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre erwiesen sich dabei als hilfreich. 

Die Fed hat 2008 die damaligen Fehler weitgehend vermieden und gewaltige Geldmittel in das Finanzsystem gepumpt und die Zinsen radikal gestutzt. Der Zusammenbruch der amerikanischen und damit der weltweiten Banken- und Finanzmärkte konnte so verhindert werden.

Seither sind viele Notenbanken Bernankes Beispiel gefolgt und haben alle Krisensymptome mit immer höheren Geldfluten und rigoroseren Zinssenkungen bekämpft – von der Eurokrise bis zur Corona-Krise. Aber der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht: Das Übermaß an Liquidität und das billige Geld rächen sich. Die dadurch entstandenen Finanzblasen sind zu einer Hauptquelle der galoppierenden Inflation geworden.

Europäische und deutsche Finanzaufseher schlagen Alarm

Die bedrohlichen Risiken, die  von der Geldentwertung  ausgehen, haben inzwischen die für die Finanzstabilität zuständigen Behörden auf den Plan gerufen. Der bei der EZB angesiedelte Europäische Systemrisiko-Rat hat Ende September erstmals seit der Banken- und Schuldenkrise von 2008 wieder eine „generelle Warnung“ vor Verwundbarkeiten des europäischen Finanzsystems herausgegeben.

Er sieht eine Reihe ernsthafter Risiken, die sich gegenseitig verstärken können. In die gleiche Kerbe schlug der deutsche Ausschuss für Finanzstabilität (AFS). Er warnt vor weiteren Korrekturen von Vermögenspreisen wie Aktien und Anleihen, konjunkturellen Risiken und möglichen Kreditausfällen, die den Banken zusetzen und die hohen Unsicherheiten weiter vergrößern könnten. Warnende Signale gibt es also reichlich. Wer will kann im Internet weitere ausführliche Meinungen finden.

US-Zinspolitik weckt Sorgen vor einem zu viel des Guten

Dreh- und Angelpunkt der neuen Ängste sind die „Inflationsbekämpfer“, also die Notenbanken. Sie haben den Teuerungsschub lange unterschätzt und müssen nun umso aggressiver reagieren, um die Inflation in die Nähe ihrer Zielmarke von 2 Prozent zu bringen.

Wie fast immer geht die US-Notenbank Fed am konsequentesten voran. Sie hat mit sechs Anhebungen in acht Monaten den Leitzins so schnell und stark wie noch nie erhöht, von 0 Prozent auf 4 Prozent. Gleichzeitig hat sie damit angefangen, die überbordende Liquidität einzufangen, indem sie ihren Anleihebestand von 9 Billionen Dollar auf knapp 8,7 Billionen bis Anfang November zurückgefahren hat.

Das ist aber immer noch fast zehnmal so viel als vor der Finanzkrise von 2008/2009. Die EZB dagegen geht nach Ansicht vieler Experten zu zögerlich ans Werk. Ihre Nullzinspolitik hat sie erst im Juni beendet und seither den Leitzins  auf 2 Prozent angehoben. Er ist also halb so hoch wie in den USA, obwohl die Inflationsrate im Euroraum mit 10,7 Prozent im Oktober deutlich über der amerikanischen mit 7,7 Prozent lag.

Das rasante Tempo der Fed bei Zinserhöhungen und Liquiditätsreduzierung ist ein gewichtiger Grund für die Ängste vor einer Finanzkrise. Nicht nur der renommierte US-Wirtschaftsprofessor Jeremy Siegel befürchtet, dass die US-Notenbanker „jetzt viel zu stark auf die Bremse treten“.  Diese abrupte Wende in der Geldpolitik könnte eine tiefe Rezession auslösen. Und das könnte über Kreditausfälle bei den Banken, eine Verteuerung der Kreditaufnahme von Staaten und Unternehmen sowie einem weiteren Rückgang der Preise für Aktien, Anleihen und Immobilien Banken und das gesamte Finanzsystem gefährden.

Pfundkrise als Vorbote größerer Probleme?

In den letzten Monaten sind bereits Vorboten einer Finanzkrise sichtbar geworden. Als Großbritanniens  damalige Premierministerin Liz Truss zum Regierungsantritt ein zusätzliches Ausgabenprogramm vorstellte, rebellierten die Märkte: Die Renditen für britische Staatsanleihen schossen in die Höhe, und das Pfund-Sterling brach ein. Die Bank of England musste mit massiven Staatsanleihekäufen den Renditeanstieg stoppen und die Pfund-Schwäche eingrenzen. Sonst wären zahlreiche britische Pensionsfonds unter die Räder geraten.

Italiens enorme Staatsverschuldung kaum noch finanzierbar

Sorgen bereitet zudem Italien, dessen Staatsverschuldung gut 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt – mehr als doppelt so hoch wie die deutsche Quote mit rund 70 Prozent. Bei Renditen  für italienische  Staatsanleihen, die binnen eines Jahres von 1,2 Prozent auf zeitweise fast 5 Prozent geklettert sind, werden die Sollzinsen allmählich unbezahlbar, zumal die neue Regierung zusätzliche Ausgaben plant.

Eine neue Euro-Krise könnte die Folge sein. Deshalb hat die EZB neue Regeln eingeführt, die bei einem weiteren starken Zinsanstieg massive Käufe italienischer Anleihen ermöglichen, um eine Marktpanik zu vermeiden  – ähnlich wie das in Großbritannien der Fall war.

Der amerikanische Wirtschaftsprofessor Nouriel Roubini, der die Finanzkrise 2008 vorausgesagt hatte, sieht generell in einer neuen globalen Schuldenkrise die größte Gefahr. Zumal die Staaten zur Bekämpfung der Inflationsfolgen für ihre Bürger und Unternehmen zusätzliche Hilfsprogramme auflegen, die die Verschuldung weiter in die Höhe treiben.  Roubini denkt dabei vor allem an die USA, die 31,3 Billionen Dollar an Staatsschulden aufgetürmt haben. Vor 15 Jahren waren es weniger als 8 Billionen – also ein Viertel davon.

Schmaler Grat für die Politik von Fed und EZB

Die Notenbanken befinden sich also in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite sollten sie so schnell und stark wie möglich die Zinsen anheben, um der Inflation den Garaus zu machen. Auf der anderen Seite belasten höhere Zinsen die Konjunktur und die Staatshaushalte. Die Aufgabe von Fed, EZB und Co. ist deshalb extrem diffizil. Sie müssen, um Börsenaltmeister Gottfried Heller zu zitieren, den Pelz des Bären waschen, ohne ihn nass zu machen. Sonst drohen die Nebeneffekte ihrer Zinserhöhungen eine neue weltweite Finanzkrise auszulösen. Gehen sie zu behutsam vor, wird die Inflation noch lange Unternehmen und Bürger belasten und ebenfalls eine Quelle für Finanzturbulenzen bleiben.