Wahlkampf statt Virusbekämpfung

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Die mächtigste Frau Deutschlands wirkt müde – und gar nicht mehr so mächtig wie in früheren Zeiten. Wenn sich Angela Merkel am Mittwoch mit den Ministerpräsidenten der Länder zusammenschaltet, erwartet sie wohl keinen großen Wurf mehr.

Merkel wirkt müde

Die Kanzlerin scheint die verbleibenden Tage ihrer im September endenden Amtszeit innerlich bereits herunterzuzählen. Wie sehr sie es satt hat, auf die föderalen Regionalfürsten einzuwirken wie eine Erzieherin auf aufmüpfige Kinder, hat man spätestens bei der Pressekonferenz im Februar deutlich merken können. Anders als zuvor versuchte sie gar nicht erst, die 16 Bundesländer auf eine einheitliche Linie zu bringen – wohlwissend, dass einige Länderchefs ohnehin ihr Ding durchziehen und mit ihrem jeweiligen Bundesland irgendwelche Sonderwege beschreiten würden, so wie es in den vorangegangenen Monaten auch stets abgelaufen war.

Längst ist die gemeinsame Kraftanstrengung, die noch im Frühjahr 2020 bei Ausbruch der Pandemie und Verhängung der ersten Lockdown-Maßnahmen zu spüren war, dem Wahlkampf gewichen. Die Profilierung einzelner Personen und die Abgrenzung der Parteien untereinander bestimmt wieder zunehmend die Agenda und behindert die nach wie vor notwendige Zusammenarbeit. Ein prominentes Beispiel lieferten jüngst die Angriffe aus der SPD – immerhin Regierungspartei – gegen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Sie dürften erst der Vorgeschmack gewesen sein auf das, was uns in den kommenden Monaten noch blüht.

Gerade jene Ministerpräsidenten, die in diesem Jahr noch eine Wahl in ihrem Bundesland zu bestreiten haben – oder gar Berliner Ambitionen hegen – melden sich seit einiger Zeit besonders oft und besonders auffällig zu Wort.

Länderchefs im Wahlkampfmodus

In Baden-Württemberg verfolgt Winfried Kretschmann eine offensiv andere Strategie als es die Konferenzbeschlüsse eigentlich vorsehen, viel früher als anderswo öffneten im Südwesten des Landes wieder die Schulen. Mit Markus Söder und Michael Kretschmer schließen sich nun die Länderchefs von Bayern und Sachsen zusammen und wollen in ihren Hotspots – insbesondere in der Nähe zur tschechischen Grenze, die beide Bundesländer teilen – Impfungen für alle Erwachsenen freigeben und sich damit von der Priorisierung definierter Gruppen verabschieden. Aus Berlin war dazu zwar umgehend eine Absage zu vernehmen, doch wer Söder kennt, weiß, dass über das Thema am Mittwoch zumindest noch einmal gesprochen werden wird.

Während Söder in der Pandemiebekämpfung zurückhaltend und vorsichtig agiert, lieber zwei Wochen später als früher Lockerungen sehen möchte, weht im Norden der Republik ein ganz anderer Wind. Daniel Günther und Manuela Schwesig, Regierungsoberhäupter von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, weisen immer wieder auf niedrige Inzidenzwerte in vielen ihrer Landkreise hin und fordern umfassendere Öffnungsperspektiven, wollen zugleich aber auch Tagestourismus aus benachbarten, strenger regulierten Ländern vermeiden.

Das führte im vergangenen Jahr bereits zu bizarren Situationen wie der Ausweisung aller Urlauber von den jeweiligen Inseln oder dem Verbot der Nutzung des eigenen Ferienhäuschens am Meer, wenn der Hauptwohnsitz jenseits der Landesgrenze lag.

Der föderale Flickenteppich schillert in allen Farben

Der föderale Flickenteppich zeigte sich selten so bunt wie in den vergangenen Monaten der Pandemie und er dürfte seine schillernden Nuancen noch vervielfachen, nun, da der allgemeine Wahlkampf Fahrt aufnimmt.

Da wird mit den Öffnungen gar nicht mehr bis zur gemeinsamen Schaltkonferenz gewartet, stattdessen öffneten Friseure, Floristen, Fahrschulen und Fußpfleger bereits an diesem Montag in einigen Bundesländern wieder Tür und Tor, zum Teil um Punkt Mitternacht und mit höchstbietend versteigerten Erstterminen. Inzidenz 65, die Frisur sitzt.

Wer nicht impfen kann, muss testen

Mit einer Verschärfung der Maßnahmen ist am Mittwoch nicht zu rechnen, die Stimmung kippt seit Tagen in Richtung Lockerung. Anstatt sich hier nun im Klein-klein zu verlieren und darüber zu streiten, ob nun die kleine Boutique oder der Elektrogroßmarkt zuerst öffnen darf, wären die Länder gut beraten, sich auf das zu fokussieren, was die absehbaren Öffnungen flankieren muss: eine reibungsloser als bislang verlaufende Impfkampagne, kombiniert mit der nun anlaufenden Strategie der Schnell- und Selbsttests für jedermann. Letzteres muss sein, weil ersteres zu lange dauert. Wie beides zügig und effizient umgesetzt werden kann, ohne dass Impfdosen verschwendet werden oder allzu große Engpässe entstehen, gilt es nun zu organisieren.

Wenn das nicht gelingt, ist der nächste Lockdown näher, als uns lieb ist. Ostern könnte dann ein zweites Weihnachten werden, Kontaktverbote inklusive.