Autobranche ächzt unter Materialmangel – keine Besserung in Sicht

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Mit der Chipkrise fing es an: Im vergangenen Jahr kamen erstmals Meldungen auf über fehlende Halbleiter. Weil zahlreiche Kunden – etwa aus der Automobilbranche – zu Beginn der Pandemie hastig ihre Bestellungen stornierten, wurden auf Seiten der Chiphersteller dementsprechend die Produktionskapazitäten reduziert.

Dann ging es für die Wirtschaft aber doch schneller wieder aufwärts als gedacht, und plötzlich fehlten die Chips. Auch Rohstoffe und andere Vorprodukte und Bauteile stehen seit Monaten nicht in dem Umfang zur Verfügung, wie die Industrie es für einen reibungslosen Betrieb benötigen würde. Steigende Transportkosten und stotternde Lieferketten im weltumspannenden Netz aus Güterverkehr per Schiene, Luftfracht, Schiff und Straße machen das Chaos perfekt.

Hohe Preise und lange Wartezeiten für Neuwagen

Etliche Branchen klagen über Materialengpässe, lange Lieferzeiten und höhere Kosten, die nicht selten an die Kundschaft weitergegeben werden. Besonders drastisch ist das in Deutschland bei den Autobauern zu beobachten: Auf manches Neuwagenmodell müssen Kunden bis zu einem Jahr warten, weil die Hersteller in der Produktion jene Fahrzeuge priorisieren, die die höchsten Margen abwerfen. Auf diese Weise konnten beispielsweise Mercedes-Benz und BMW trotz rückläufiger Absatzzahlen ihre Gewinnbilanzen sogar noch steigern. Doch auf Dauer wird das kaum gelingen, und so schlägt auch Deutschlands wichtigste Branche inzwischen Alarm.

Das vergangene Jahr war mit Blick auf die Stückverkäufe bereits das schwächste seit rund einem Jahrzehnt. In diesem Jahr dürfte das noch einmal unterboten werden: Eine aktuelle Branchenstudie der Unternehmensberatung AlixPartners geht davon aus, dass 2022 nur noch knapp 79 Millionen Pkw und Kleintransporter verkauft werden. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es noch etwas mehr als 80 Millionen Fahrzeuge.

Elektromobilität durch Chipkrise ausgebremst?

Ausgerechnet die in diesem Jahrzehnt so wichtige Antriebswende weg vom Verbrenner und hin zum Elektroauto wird die Hersteller demnach ausbremsen. Weil E-Fahrzeuge etwa zehnmal so viele Computerchips benötigen wie klassische Verbrenner, schlägt der Halbleitermangel hier besonders hart zu. Mit einer Erholung ist demnach auch im kommenden Jahr noch nicht zu rechnen, erst ab 2024 dürften die Autobauer den Berechnungen zufolge das Niveau von vor der Pandemie erreichen – „frühestens“, wie die Studienautoren unterstreichen.

Eine Herausforderung wird zudem die Preisgestaltung. Im vergangenen Jahr hatte die Schieflage aus hoher Nachfrage bei knappem Angebot dafür gesorgt, dass die Hersteller hohe Preise durchsetzen konnten und oftmals keine oder kaum noch die früher üblichen Rabatte einräumen mussten. Inzwischen sind die Produktionskosten gestiegen, zugleich hat aber auch die Inflation dermaßen angezogen, dass vielen Privathaushalten schlichtweg das nötige Kleingeld fehlt, um sich einen Neuwagen anzuschaffen, zumal bei den aktuell nach wie vor hohen Stückpreisen.

EU-Beschlüsse: Keine Verbrenner ab 2035

Eine Umkehr zurück zu höheren Rabatten ist damit absehbar, zumindest mittelfristig. Da Beschlüsse der Europäischen Union inzwischen das Aus für Neuzulassungen mit Verbrennungsmotor ab 2035 in der Staatengemeinschaft besiegelt hat, drängt die Autobranche nunmehr die Politik zum Handeln: Es ist vor allem die nach wie vor eher dürftige Ladeinfrastruktur, die viele potenzielle Kunden vom Elektroauto fernhalten. Neben hohen Kaufpreisen und oftmals vergleichsweise begrenzter Reichweite hinkt Deutschland bei der Verkehrswende bis dato hinterher. Das soll sich in den kommenden 10 Jahren nun aber drastisch ändern.

Unter den deutschen Autobauern ist das vor allem für Volkswagen relevant: Anders als die Premiumhersteller werden hier die Gewinne maßgeblich über Masse statt Marge erzielt. Während Mercedes-Benz und BMW von ihren Kunden durchaus höhere Preise verlangen können – und diese auch bezahlt bekommen –, sind die Spielräume dafür bei den „Volumen“-Fahrzeugen eher begrenzt. Zwar kann der Wolfsburger Dax-Konzern über seine Premium- und Luxusmarken wie Audi oder Porsche ebenfalls diesbezüglich Akzente setzen, doch insgesamt steht Volkswagen vor anderen Herausforderungen als die innerdeutschen Konkurrenten.

Ifo-Umfrage: Drei von vier Unternehmen kämpfen mit Materialmangel

Unterdessen klagt nicht nur die Automobilbranche über fehlende Halbleiter, Vorprodukte und Rohstoffe. In einer aktuellen Umfrage des Münchener Ifo-Instituts zeigten sich knapp drei Viertel der befragten Unternehmen von Materialengpässen betroffen. Hatte man die Lieferschwierigkeiten im vergangenen Jahr – ähnlich wie die Inflation – für ein eher kurzfristiges, vorübergehendes Phänomen gehalten, zeichnet sich nun immer stärker die ganze Dimension der Misere ab.

Nach Einschätzung der Unternehmen dürften die gestörten Lieferketten noch monatelang für Probleme in den Produktionsabläufen sorgen, im laufenden Jahr rechnet kaum jemand mit einer substanziellen Verbesserung der nach wie vor angespannten Lage. Stattdessen rechnen die Betriebe im Schnitt mit rund 10 Monaten, bis sich die Situation spürbar verbessert.

In diesem Sommer ächzt die Industrie vor allem unter den Nachwehen der chinesischen Null-Covid-Politik: Immer wieder schickt die Volksrepublik ganze Regionen in rigorose Lockdowns, was zu Produktionsausfällen und Lieferstaus führt. Besonders drastisch wirkt sich für deutsche Unternehmen dabei der rund zweimonatige Lockdown aus, den die Zentralregierung im Frühjahr über Shanghai verhängt hat. Die Wirtschaftsmetropole mit dem größten Containerhafen der Welt stand wochenlang komplett still, die Auswirkungen dürften noch monatelang zu spüren sein – und weitere Lockdowns ähnlicher Art sind keineswegs ausgeschlossen.