Boeing-Chef Calhoun muss gehen

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Paukenschlag bei Boeing: Die tiefe Krise des Konzerns kostet den Chef nun den Posten. Zwar nicht sofort, aber zum Jahresende hat Dave Calhoun seinen Rückzug vom Vorstandsvorsitz angekündigt. Mit ihm gehen weitere hochrangige Manager, darunter Larry Kellner, Chef des Verwaltungsrats bei Boeing, und Stan Deal, der die Verkehrsflugzeugsparte verantwortet. Letzteren Posten soll Medienberichten zufolge künftig Stephanie Pope übernehmen.

Boeing steckt in tiefer Krise

Der Airbus-Konkurrent steckt in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Nach zwei Abstürzen in den Jahren 2018 und 2019 seines Prestigemodells 737 Max und dem darauffolgenden, fast zweijährigen Grounding aller Maschinen dieses Typs sollte es eigentlich wieder aufwärts gehen – doch das Gegenteil ist der Fall.

Seit Beginn des Jahres häufen sich die Schlagzeilen über Zwischenfälle mit Boeing-Maschinen. Anfang Januar verlor ein fast fabrikneues Modell der 737-Max-Reihe von Alaska Airlines während des Steigflugs eine Kabinenabdeckung. Diese war offenbar nicht korrekt montiert worden, was direkt auf Boeing zurückfällt. Das Ganze könnte ernsthafte Konsequenzen haben: Neben der US-Luftfahrtbehörde FAA ermittelt inzwischen auch das FBI in dem Fall.

Zwischenfall bei Alaska Airlines: FBI spricht von möglichem „Verbrechen“

Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die Ermittlungsbehörden Passagiere des betroffenen Fluges angeschrieben und darüber aufgeklärt hatten, dass sie möglicherweise Opfer eines „Verbrechens“ geworden seien. Dass es bei dem Zwischenfall lediglich zu leichten Verletzungen kam, war dem glücklichen Umstand geschuldet, dass die Sitzplätze unmittelbar neben dem Loch in der Außenwand der Kabine nicht besetzt waren. Doch auch ohne Todesopfer wirft das Ganze ein unangenehmes Schlaglicht auf erhebliche Qualitätsmängel bei Boeing.

Bei einem Flug in Richtung Neuseeland wurden Anfang März rund 50 Menschen an Bord der chilenischen Fluggesellschaft Latam Airlines verletzt, als der Jet aus Boeings Dreamliner-Reihe 787 plötzlich absackte. Was den abrupten Sinkflug ausgelöst hat, ist derzeit noch Gegenstand von Untersuchungen. Neben einem elektrischen Kurzschluss ist offenbar auch eine versehentliche Verstellung des Pilotensitzes als Ursache denkbar. Boeing wies offenbar alle Airlines, die das entsprechende Flugzeugmodell in ihrer Flotte betreiben, darauf hin – sollte sich hier ein flottenweites Konstruktionsproblem bestätigen, wäre es nur ein weiterer Punkt in einer unfassbaren Serie von skandalträchtigen Schlagzeilen rund um Boeing.

Reihenweise Zwischenfälle seit Jahresbeginn

Wenige Tage vor dem Sturzflug der Latam Airlines-Maschine hatte eine Boeing 777 von United Airlines auf dem Weg nach Japan kurz nach dem Start in San Francisco. ein Rad verloren. Das Flugzeug kehrte um und landete schließlich in Los Angeles. Menschen kamen nicht zu Schaden, allerdings traf das abgerissene Rad mehrere geparkte Autos auf einem nahegelegenen Parkplatz und beschädigte diese erheblich.

Boeing stand einst für hohe Qualität und meisterhafte Ingenieure. Nach dem Zusammenschluss mit McDonnell-Douglas in den 1990er Jahren beobachteten jedoch viele Angestellte einen Paradigmenwechsel. Wirtschaftliche Interessen rückten stärker in den Vordergrund, Bedenken von Ingenieuren wurden weggefegt. Inzwischen lässt Boeing einen Großteil der Bauteile von Zulieferfirmen fertigen, in Seattle werden die Teile dann nur noch zusammengesetzt – sofern sie denn zusammenpassen und mit genügend Bolzen befestigt werden.

Airlines wechseln zu Airbus – Aktie mit klarer Richtung

Passagiere und Airlines verlieren zunehmend das Vertrauen. Erste Reiseportale im Internet bieten bereits eine Filterfunktion an, über die einzelne Flugzeugtypen – etwa die pannengeplagte 737 Max – bei der Reiseplanung ausgeschlossen werden können. Airbus als größter Konkurrent von Boeing kann von dessen Niedergang jedoch nur bedingt profitieren: Die Auftragsbücher sind bereits derart prall gefüllt, dass Fluggesellschaften mehrere Jahre warten müssen, bis ihre Bestellungen an der Reihe sind.

Anleger reagierten deutlich auf die nun angekündigten personellen Konsequenzen an der Spitze des Boeing-Konzerns: Vor dem US-Handelsstart legte die Boeing Aktie bereits um rund 4 Prozentpunkte zu. Damit quittieren sie eine ernüchternde Bilanz des scheidenden Vorstandschefs, der erst 2020 angetreten war, um Boeing nach den beiden verheerenden Abstürzen wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Dies ist ihm augenscheinlich nicht gelungen – Qualitäts- und Sicherheitsmängel belasten nach wie vor den Ruf des einstigen Vorzeigeunternehmens.

Airbus konnte zuletzt Aufträge auch von Boeing-Stammkunden einsammeln. Die Airbus Aktie befindet sich seit rund einem halben Jahr in einem stabilen Aufwärtstrend und hat seither um gut ein Drittel zugelegt. Derzeit bewegt sich der Kurs mit rund 170 Euro nah am jüngst erzielten Allzeithoch.