Brexit: Quo vadis, Großbritannien?

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Wie geht es eigentlich Großbritannien? Seit gut anderthalb Jahren ist das Königreich nicht mehr Teil der Europäischen Union, seit Anfang 2021 ist auch die Übergangsfrist abgelaufen, während derer noch die Regeln eines gemeinsamen Binnenmarktes gegriffen haben.

Knapp 8 Monate später lässt sich festhalten: Die Briten meinen es ernst mit ihrem Ausstieg. Tatsächlich agieren sie in vielerlei Hinsicht konträr zu den verbliebenen 27 EU-Staaten. Zum Teil konnte Großbritannien dadurch Erfolge einfahren. Beispielsweise waren britische Bürger viel früher gegen Covid-19 geimpft als die meisten Menschen in der EU.

Streit um AstraZeneca – war das erst der Anfang?

Impftempo und Impfquote schnellten in die Höhe – und das auch, weil die Regierung in London mit dem zum Teil britischen Impfstoffhersteller AstraZeneca wohl einen Sonderdeal ausgehandelt hatte, der die Briten bei der Auslieferung des Vakzins bevorzugte (und die EU benachteiligte). Die Causa führte zu monatelangen Machtkämpfen zwischen Politik und Pharmakonzern sowie zwischen Brüssel und London. Am Ende wurde der Impfstoff von AstraZeneca in der EU zum ungeliebten Ladenhüter und wird mittlerweile von den Verantwortlichen in Brüssel gar nicht erst mehr nachbestellt.

Man ist also offenkundig nachhaltig beleidigt auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Für Wirtschaftsunternehmen, die gerne hüben wie drüben ihre Produkte fertigen und verkaufen möchten, kann das gefährlich werden. Das Vakzin von AstraZeneca ist nachweislich wirksam, wurde jedoch im Kontext der Lieferproblematik medial so lange heruntergeschrieben, bis ihn in der EU niemand mehr haben wollte.

Mittlerweile haben sich die mRNA-basierten Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna bekanntlich weitgehend durchgesetzt. Doch die Misere von AstraZeneca liegt wohl zumindest zum Teil auch darin begründet, dass Brüssel brüskiert war über den Vorzugsdeal, den London mit dem Hersteller ausgehandelt hatte. Sollte der Fall Schule machen, könnte es für Unternehmen auch künftig ungemütlich werden.

Briten feiern „Freedom Day“ – und erwachen in „Ping-Demie“

Doch der britische Sonderweg erstreckt sich nicht allein auf die Impfkampagne. Mit einer Mischung aus Erstaunen und Entsetzen musste Europa zur Kenntnis nehmen, dass zumindest in England der „Freedom Day“ ausgerufen und zelebriert wurde. Trotz weiterhin grassierender Corona-Ansteckungen sind dabei die allermeisten Einschränkungen gefallen oder Vorgaben zu reinen Empfehlungen heruntergestuft worden.

Die Quittung folgte prompt, die Infektionszahlen steigen trotz hoher Impfquote wieder merklich an. Zwischenzeitlich hat Großbritannien sogar erklärt, man halte das postulierte Ziel einer Herdenimmunität angesichts der mittlerweile dominierenden Delta-Variante des Virus für nicht erreichbar.

Anstelle von Maßregelungen im Alltagsverhalten setzt man auf der Insel nun auf eine weitreichende Quarantäne-Verordnung. Von einer „Ping-Demie“ ist schon die Rede, angelehnt an das „Ping“ der entsprechenden Warn-App, die die Bürger nach Risikokontakten zur Selbstisolation aufruft. Das Ganze nimmt mittlerweile groteske Ausmaße an.

Wirtschaft stößt wegen Massenquarantäne an ihre Grenzen

So viele Briten müssen sich isolieren, dass etlichen Firmen schlichtweg die Fachkräfte fehlen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Immer wieder geraten Produktionsprozesse oder Lieferketten ins Stocken. Letzteres wird noch zusätzlich befeuert durch den akuten Personalmangel im Speditionswesen.

Zahlreiche Fernfahrer aus Osteuropa haben jahrelang in Großbritannien dafür gesorgt, dass die Supermarktregale regelmäßig wieder aufgefüllt werden konnten. Der Brexit hat sie explizit zu unerwünschten Personen erklärt. Viele sind daraufhin freiwillig gegangen, auch weil die Lage in der Pandemie mit zeitweise geschlossenen Grenzen in Europa für die Branche nicht einfach war.

London lehnt Arbeitsvisa für Fernfahrer ab

Nun weisen die zuständigen Verbände in Großbritannien immer offensiver darauf hin, dass eben jene osteuropäischen Arbeitskräfte fehlen. Tag für Tag scheiden mehr Fernfahrer aus dem Beruf aus als neue nachrücken. Zudem nimmt die Ausbildung inklusive entsprechender Fahrerlaubnis mehrere Monate in Anspruch. Kurzfristig wird der Personalengpass im Speditionswesen dementsprechend kaum zu lösen sein.

Eine unkomplizierte Vergabe von Arbeitsvisa, wie sie von zahlreichen Wirtschaftsvertretern gefordert wird, lehnt die Londoner Administration jedoch strikt ab. Der Tenor ist deutlich: Wenn man die Osteuropäer im Land haben wollte, hätte man ja gleich in der EU bleiben können.

Stattdessen ist Großbritannien auch mehr als 5 Jahre nach dem historischen Referendum über den EU-Austritt noch immer auf Richtungssuche. Zurück in den Schoß der EU will man auf absehbare Zeit wohl nicht, doch bis die eigenen Strukturen so weit funktionieren, dass man alleine tatsächlich besser dasteht, dürfte noch so mancher Kunde vor leeren Regalen im Supermarkt stehen.