Brexit-Showdown am Samstag

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Endlich! Der Brexit-Deal steht – zumindest, wenn es nach Jean-Claude Juncker und Boris Johnson geht. Der Noch-Präsident der EU-Kommission und der angezählte britische Premierminister verkündeten unmittelbar vor dem EU-Gipfel in Brüssel den Durchbruch in den zähen Verhandlungen.

Seit Monaten rangen Regierung und Parlament in London mehr miteinander als um den Deal, es ging um Verfassungskrisen, nicht um Brexit-Folgen. Zwischen London und Brüssel herrschte zwar keine Funkstille, aber doch Eiszeit, der Kontinent blickte zunehmend kopfschüttelnd auf das Schauspiel, das sich auf der Insel bot.

Kontrollen auf See statt Backstop

Nun ist es also doch noch gelungen, auf den letzten Drücker eine Einigung zu erzielen. Johnson hat die EU dazu gebracht, sich noch einmal zu bewegen. Der Backstop ist vom Tisch, jenes Konstrukt, das Nordirland unbefristet de facto an die Europäische Union gebunden hätte, um eine harte Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden.

Johnsons Idee, Zollkontrollen ohne festinstallierte Grenzapparate irgendwo im irischen Hinterland durchzuführen, ist ebenfalls abgeräumt. Stattdessen werden die Grenzkontrollen nun in der irischen See stattfinden.

Sollbruchstellen in Nordirland und Gibraltar

Es ist ein kompliziertes juristisches Konstrukt, das Nordirland zwar formal an Großbritannien, de facto aber weiterhin ein Stück näher an die EU bindet als den Rest des Königreichs. Die Nordirlandfrage gilt als eines der größten Risiken im gesamten Brexit-Drama, denn es gilt eine Neuauflage des jahrelangen Bürgerkriegs um jeden Preis zu vermeiden.

Problematisch dürfte sich der Brexit außerdem in Gibraltar gestalten. Tagtäglich pendeln zigtausende Menschen über die Grenze zwischen der Kronkolonie und dem geographischen Nachbarn Spanien. Zuletzt wurde alles von der Nordirlandfrage überlagert, doch auch Gibraltar könnte demnächst wieder mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Zudem ist mit einem Wiedererstarken der schottischen Separationsbestrebungen zu rechnen – sollte der Brexit denn tatsächlich durchkommen.

Ausgang von Parlamentsabstimmung ungewiss

Denn so weit ist es noch nicht. Das britische Parlament müsste erst einmal zustimmen. Am Samstag findet eine Sondersitzung statt, der Deal soll dabei entweder abgesegnet oder abgelehnt werden. Für beide Varianten gibt es gewisse Wahrscheinlichkeiten.

So hat sich die nordirische DUP zwar klar gegen den Deal ausgesprochen, hat jedoch in der Vergangenheit bewiesen, dass sich ihre Stimmen durchaus kaufen lassen durch monetäre Zuwendungen der Regierung in Richtung  Nordirland.

Dass die ehemaligen Tory-Abgeordneten, die Johnson vor einigen Wochen aus der Fraktion werfen ließ, dem Deal zustimmen, gilt als relativ wahrscheinlich – denn sie wollten in erster Linie einen No-Deal-Brexit verhindern.

Das Dilemma der Labour-Abgeordneten

Vor dem größten Dilemma stehen unterdessen die Labour-Abgeordneten. Innerhalb der Partei besteht keine einheitliche Linie, die Parteiführung lehnt Johnsons Deal jedoch ab, einerseits weil sie einen Verbleib in der EU präferieren würde, andererseits um den politischen Gegner zu schwächen. Es geht dabei nicht zuletzt um machttaktisches Kalkül.

Dies gilt insbesondere für jene Labour-Abgeordneten, die Wahlkreise vertreten, in denen es eine deutliche Mehrheit pro Brexit gab. Sie müssen sich entscheiden, ob sie sich gegen ihre Partei oder gegen ihren Wahlkreis stellen. Im Zweifelsfall kann beides die politische Karriere kosten.